Xavier Zimbardo und Bindeshwar Pathak: „Angel of Ghost Street“

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War das indische Holi-Fest noch vor einigen Jahren nur wenigen in Europa bekannt, entwickelt es sich nun von einem hinduistischen Frühlingsfest zu einer Fun-Veranstaltung für jedermann, der bereit ist, 27,99 Euro für ein Ticket und fünf Farbbeutel auszugeben. Entsprechende Angebote, absichtlich nicht verlinkt, unter holifestival.de oder holi-gaudy.com.

Ein Fest, das das Ende des Winters markiert und in einem Farbrausch endet, der, so hören wir in Europa, das Kastensystem für einen Tag überwindet und alle Menschen gleich (bunt) macht.

Weniger bekannt ist, dass nicht alle gleich sind, dass nicht alle am Holi-Fest teilnehmen dürfen. Witwen sind von jeglichen religiösen Zeremonien, eine solche ist Holi, in Indien ausgeschlossen. Insofern kam es einem gezielten Tabubruch und einer gesellschaftlichen Eruption gleich, als Dr. Bindeshwar Pathak den Witwen von Vrindavan (Bundesstaat Uttar Pradesh) im März 2013 ermöglichte, am Holi-Fest teilzunehmen.

Vrindavan ist eine der Städte in Indien, die Witwe bereitwillig aufnehmen. Die Verstoßenen versuchen in der Stadt zu überleben, in dem sie um eine Schale Reis betteln und unter erbärmlichen Bedingungen hausen. 2011 veröffentlichte der Journalist Aarti Dhar eine Reihe von Artikeln, die das Schicksal der Witwen beleuchtete. Dr. Pathak, Sozialreformer und Gründer der Hilfsorganisation Sulabh International, der sich schon erfolgreich für die Überwindung des Kastensystems und der gesellschaftlichen Teilhabe der Kastenlosen, früher: der Unberührbaren, eingesetzt hatte, sah ein weiteres Betätigungsfeld und lenkte mit der spektakulären Teilnahme der Witwen am Holifest die Aufmerksamkeit auf diese marginalisierte Gruppe. Statt auf den Tod zu warten, die Aufgabe, die die Gesellschaft den Witwen zubilligt, organisierte Dr. Pathak Nähmaschinen, die den Frauen ermöglichte, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Er lehrte sie lesen und schreiben.

Der französische Fotograf Xavier Zimbardo hat mit seiner Fotoserie Angel of Ghost Street diesen Frauen ein Gesicht gegeben. Wir sehen alte Frauen, Gesichter, in deren Falten stumm Lebensgeschichten harren. Wir sehen den nahen Tod, wir sehen Elend, das wir nicht sehen wollen, wir sehen Schönheit, Lachen, Zweifeln, aufgegebene Hoffnung, neue Hoffnung.

Einige der Fotografien zeigen auch den Farbrausch des Holi-Festes. Aber so reizvoll diese Momentaufnahmen sind, interessiert mich doch vielmehr der Tag danach. Was passiert, wenn die Farbwolken weggespült sind und an der Situation der Frauen sich höchstens in kleinen Schritten etwas ändert?