Mikael Vogel: „Dodos auf der Flucht“

Von Menschen. Und keinen anderen Schweinen!

Endlich ist Mikael Vogels „Dodos auf der Flucht“ /*nach Veröffentlichungen einiger Gedichte beispielsweise auf Fixpoetry als Text des Tages vom 20.02.18, 30.11.17, 30.11.16 und 07.09.16 oder in Triëdere 12 (01/2015), „Ästhetik des Bewahrens“ und Vorab-Lesungen etwa bei der Lyrikbuchhandlung zur Frankfurter Buchmesse 2017*/ als Buch erschienen und kann damit vollumfänglich gelesen und gemeinsam mit den Illustrationen von Brian R. Williams gewürdigt werden.

Das Ergebnis der akribischen Arbeit zum Thema Massen(aus)sterben ist in meinen Augen nichts weniger als ein epochales Werk, das Ooesie /*Oops, ehrlich: ein Tippfehler, aber manche Fehler erweisen sich als tiefgründig richtig. ‚O’osiert euch! Vogels Aufruf, sich der Schreibweise der oralen hawai’ianischen Sprache ganz im Sinne des Programms seines Verlags zu widmen. –> Noch einmal Luft holen, bevor ich den Vogel in den Himmel werfe und hoffe, seine Flügel sind kräftig und entkommen jenen Kritikern, die mit geladenen Flinten immer noch Großjägerphantasien auszuleben gedenken,*/ … ein epochales Werk, ich wiederhole mich, das Poesie, Biologie, Naturhistorie mit politischen Statements zu Klimaschutz zu verbinden weiß. Dieses Wissen ist das Produkt einer Obsession /*auch Oo!*/, das Ergebnis jahrelanger Recherche, die sich kaum eingrenzen ließ und immer wieder aktualisiert werden musste. Climate change? Leugner des Klimawandels: John Howard, australischer Premierminister (1995–2007): obsolet, Donald Trump, US-Präsident (2017–Untergang Homo sapiens sapiens?): desolat. White Men make money first! Wir sind nur Geldraffer.

Dodo (nanoblock, NBC_188) Designed by KAWADA in Japan since 2008, 12,26 Euro

Vogel spricht über den Menschen. /*und in seinen „Sonagrammen aus der Aussterbewelle“ über das Anthropozän, jenes Zeitalter, das die absolute Macht des Menschen in den Mittelpunkt stellt:*/

Statt sich der tatsächlichen Tragweite des angerichteten Desasters zuzuwenden, inszeniert der Zerstörer sich in seiner Zerstörerrolle selbst, indem er der geochronologischen Epoche seiner Auslöschungsdiktatur in seinem Größenwahn, in einem Narzismus /*wahrscheinlich absichtlich verwendeter Neologismus, der Nazismus und Narzissmus vereint; die mehrfache Verwendung der historisch mit Adolf Hitler verknüpften Vokabel »ausradieren« legt diese Vermutung nahe*/ der gesamten Spezies ausgerechnet seinen eigenen Namen aufzwingt. […] Ausgespart bleibt im Begriff des Anthropozäns der Akt der Annihilation. Ausgeschlossen bleiben die Opfer. Er enthält sich jeder Implikation von Empathie für anderes Leben. Wäre es nicht angemessener gewesen, denjenigen, gegen die sich die Vernichtung richtet, ein Mahnmal zu setzen?

Vogel nennt die Protagonisten der Ausrottung, so sie in der Literatur überliefert wurden /*stolze, stumpfsinnige Jäger (feige Schweine) oder Produkte weltweit agierender Konzerne*/ beim Namen /*und weist zurecht darauf hin, dass die Ausrottung der Tierwelt einherging mit der Ausrottung der indigenen Bevölkerung und dem Raubbau an Natur und Bodenschätzen, Beispiel: Van-Diemens-Land/Tasmanien*/: Jón Brandsson und Sigurður Ísleifsson erwürgen die letzten Riesenalke, Ketill Ketilson zertritt deren letztes Ei am 3. Juni 1844, DDT (Fa. Geigy) und Diclofenac (Fa. Ciba-Geigy) bedeuten den Tod für die Schwarze Strandammer und den Bengalgeier. /*vergleiche auch die Exposition von „Das Ministerium des äußersten Glücks“ von Arundhati Roy:

Die Geier starben an Diclofenac-Vergiftung. Diclofenac, Rinder-Aspirin, das den Rindern verabreicht wird, um die Muskeln zu entspannen, Schmerzen zu lindern und die Milchproduktion zu erhöhen, wirkt – wirkte – wie Nervengas auf die Weißrückengeier. Jede chemisch entspannte Kuh oder Büffelkuh, die starb, war vergiftete Geierbeute. Während die Kühe zu besseren Milchmaschinen wurden, während die Stadt mehr Eis, Karamell, Cornettos und Nogger Chocs aß und mehr Mango-Milchshakes trank, begannen die Geier, die Hälse hängen zu lassen […]*/

Vogel konstatiert:

Die Museen mit ihren ausgestopften Tieren hinter Glasaugen sind erdrückende Mausoleen, die ebenso sehr auf Unrecht fußen wie sie sich spätestens bei den vertrauten heimischen Tieren in ihren artifiziellen Dioramen als langweilig und überholt outen — welchen Sinn ergeben heute noch bewegungslose Tiere?

Ein Besuch im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, Besitzer eines vollständig montierten Beutelwolf-Skeletts /*eins von 28 weltweit*/ und einer vollständigen Beutelwolf-Dermoplastik /*eine von etwa 100 weltweit*/ lässt die Dringlichkeit seiner Frage physisch erlebbar machen. Nun, sie ist denkbar einfach beantwortet. Der Darmstädter Beutelwolf darf als Fun-&-Event-Kulisse für Facebook-Fotos /*Ich war in DADArmstadt: dada dodo*/ herhalten, für eine kommerzielle Nutzung der Fotos /*sehr fraglich, ob diese Rezension als solche einzustufen wäre*/ bedarf es einer Genehmigung, mutmaßlich verbunden mit einer Geldzahlung. /*Diese als Kommentare getarnten Einschübe Einschüsse lassen der Besprechung keine Luft, keine Ruhe, sich zu entfalten, reife Gedanken auszubrüten. Sie ist in ihrer Existenz bedroht. SOS – Save our site. Wie den Tieren kann es auch dem Menschen gehen. Der Kapitalismus frisst und frisst und scheißt und scheißt.*/ So bleibt der Verwertungskreislauf geschlossen.

Der Mensch hat im Laufe seines Aufstiegs das Aussterben zusehends monopolisiert, so wie er den Planeten monopolisiert hat. Eine Erfolgsgeschichte also.

Ein Mahnmal in Worten. Unbedingt lesen!

/*P.S. Über den Tasmanischen Tiger schreibt auch Julia Leigh in „The Hunter“. Dank an Debbie Lim für den Hinweis.*/