Anja Tuckermann, Mehrdad Zaeri & Uli Krappen: „Nusret und die Kuh“

Fortgehen und Heimkehren

Nusret lebt bei seinen Großeltern in einem Dorf im Kosovo. Die Eltern wohnen mit den Nusrets Geschwistern in Deutschland. Die Entfernung zwischen der alten und der neuen Heimat der Familie ist groß, Briefe verkürzen sie. Doch die Großeltern können nicht lesen und Nusret ist noch nicht in der Schule, also hilft der freundliche Briefträger aus.

Anja Tuckermann erzählt in Nusret und die Kuh eine Geschichte über Heimat, Exil, Sehnsucht und über die Wichtigkeit, Lesen und Schreiben zu erlernen. Die Kuh tut es Nusret gleich, auch sie lernt das Alphabet. Als Nusret nach einem Besuch im Kosovo zurück nach Deutschland fährt, die Kuh aber bei den Großeltern bleibt, liest fortan die Kuh die Briefe aus Deutschland vor.

Das Buch ist von  Mehrdad Zaeri und Uli Krappen lebhaft, wild, phantasie- und liebevoll illustriert.

„Anja Tuckermann, Mehrdad Zaeri & Uli Krappen: „Nusret und die Kuh““ weiterlesen

Angélica Freitas: „Der Uterus ist groß wie eine Faust“

Nicht gekommen

Was hindert zwei Menschen, gleich des Geschlechtes, des gleichen Geschlechts, dass sie sich treffen, ihre mit Wollust und Blut vollgepumpten Geschlechtsorgane aneinanderreiben und sich im Orgasmus vereinen?

Angélica Freitas, am 8. April 1973 in Pelotas, Rio Grande del Sur, Brasilien aus der Gebärmutter ihrer Mutter = Gebärmutterzum Quadrat (stört nicht das Eckige?) entlassene Tochter, gibt uns darüber in ihrem zweiten Gedichtband in deutscher Übersetzung Der Uterus ist so groß wie eine Faust (aus dem brasilianischen Portugiesisch von Odile Kennel) Auskunft.

Wir lernen, auch ein Nicht-Koitus (damit meine ich nicht nur das Treiben geiler Schwänzchen im Muttis dunkler Empfangshalle) nimmt die orgiastische Steigerung nicht aus.

„Angélica Freitas: „Der Uterus ist groß wie eine Faust““ weiterlesen

Ray Lavallee und Judith Silverthorne: „Die Würdigung des Bisons – Eine Legende der Plains Cree“

Vorschau Frankfurter Buchmesse 2020, Ehrengast: Kanada
Vom Rentier zum Bison – Die Überreichung der GastRolle anderer Art

Meinen Besuch bei der Frankfurter Buchmesse 2019 beschloss ich mit Traditional Sámi Joik and Joik Poetry, vorgetragen von Inga Ravna Eira, Biret Riste Sara und Karen Anne Buljo am Sonntagmittag im Ehrengast-Pavillon. Dabei wurde abermals, wie in den Tagen zuvor, über die große Bedeutung der Rentier-Herden für die Sámi gesprochen. Alle Körperteile des Rentiers sind den Sámi von Nutzen.

Das galt auch für ein anderes Säugetier, den Bison, der für den Kultur der Cree in Kanada von überragender Bedeutung war. Einst gab es viele Millionen Bisons, die die weiten Ebenen bevölkerten. (Heute gibt es etwa 20000 wildlebende Bisons.)

Daran erinnert das preisgekrönte Buch Die Würdigung des Bisons. Eine Legende der Plains Cree, das gerade im Verlag MONS in einer bilingualen Fassung erschienen ist. Dass hier die Sprache Plains Cree oder auch Dialekt Y gezeigt und in Beziehung zur deutschen Sprache gesetzt wird, allein das ist bedeutend im Internationalen Jahr der indigenen Sprachen 2019.

„Ray Lavallee und Judith Silverthorne: „Die Würdigung des Bisons – Eine Legende der Plains Cree““ weiterlesen

Literaturzeitschrift alba11: Schwerpunkt weibliches Schreiben

Gespräch mit den alba-Redaktionsmitgliedern Laura Haber und Christiane Quandt.

Gib acht, Agda!
Die elfte Ausgabe des Magazins alba.lateinamerika lesen

Mit dem Leitmotiv Aquí estamos. Wir sind da. präsentiert sich die aktuelle Ausgabe der in Berlin herausgegebenen zwei- und stellenweise auch mehrsprachigen Literaturzeitschrift. Ein Blick auf die Namen der Redaktionsmitglieder und der an Übersetzungen und an Illustrationen Beteiligten weist deutlich mehr Frauen als Männer aus, weshalb alba sich folgerichtig, nach mehreren Ausgaben mit verschiedenen Länderschwerpunkten, darunter Chile und Mexiko, nun dem weiblichen Schreiben widmet. Ich widerstehe der Versuchung, Anführungsstriche zu setzen, eine Kategorie zu markieren, eine Schublade.

In ihrem Beitrag Sie sind da blickt Redaktionsmitglied María Ignacia Schulz zurück auf die Anfänge des Magazins.

Vielfalt als Stärke, Heterogenität als höchster Anreiz. Diese Ziele setzte sich die Redaktion im Editorial der ersten Ausgabe von alba.lateinamerika lesen im März 2012. In den sechs Jahren und elf Ausgaben seither war es nicht immer einfach, dem auch gerecht zu werden. Stets war mit diesem Interesse auch das Bemühen verbunden, die literarische Arbeit zeitgenössischer Schriftstellerinnen Lateinamerikas hervorzuheben. Ist dies heutzutage noch notwendig?

Die Frage wird von Christiane Quandt per Interview an die mexikanische Lyrikerin und Performerin Rocío Cerón weitergegeben. Sie antwortet:

„Literaturzeitschrift alba11: Schwerpunkt weibliches Schreiben“ weiterlesen

Mikael Vogel: „Dodos auf der Flucht“

Von Menschen. Und keinen anderen Schweinen!

Endlich ist Mikael Vogels „Dodos auf der Flucht“ /*nach Veröffentlichungen einiger Gedichte beispielsweise auf Fixpoetry als Text des Tages vom 20.02.18, 30.11.17, 30.11.16 und 07.09.16 oder in Triëdere 12 (01/2015), „Ästhetik des Bewahrens“ und Vorab-Lesungen etwa bei der Lyrikbuchhandlung zur Frankfurter Buchmesse 2017*/ als Buch erschienen und kann damit vollumfänglich gelesen und gemeinsam mit den Illustrationen von Brian R. Williams gewürdigt werden.

Das Ergebnis der akribischen Arbeit zum Thema Massen(aus)sterben ist in meinen Augen nichts weniger als ein epochales Werk, das Ooesie /*Oops, ehrlich: ein Tippfehler, aber manche Fehler erweisen sich als tiefgründig richtig. ‚O’osiert euch! Vogels Aufruf, sich der Schreibweise der oralen hawai’ianischen Sprache ganz im Sinne des Programms seines Verlags zu widmen. –> Noch einmal Luft holen, bevor ich den Vogel in den Himmel werfe und hoffe, seine Flügel sind kräftig und entkommen jenen Kritikern, die mit geladenen Flinten immer noch Großjägerphantasien auszuleben gedenken,*/ … ein epochales Werk, ich wiederhole mich, das Poesie, Biologie, Naturhistorie mit politischen Statements zu Klimaschutz zu verbinden weiß. Dieses Wissen ist das Produkt einer Obsession /*auch Oo!*/, das Ergebnis jahrelanger Recherche, die sich kaum eingrenzen ließ und immer wieder aktualisiert werden musste. Climate change? Leugner des Klimawandels: John Howard, australischer Premierminister (1995–2007): obsolet, Donald Trump, US-Präsident (2017–Untergang Homo sapiens sapiens?): desolat. White Men make money first! Wir sind nur Geldraffer.

Dodo (nanoblock, NBC_188) Designed by KAWADA in Japan since 2008, 12,26 Euro

„Mikael Vogel: „Dodos auf der Flucht““ weiterlesen

Andrea Grosso Ciponte, Dacia Palmerino: „Martin Luther“

Welche Gerechtigkeit …

Der grafische Roman (Graphic Novel) über das Leben und Wirken Martin Luthers, 2016 in der Edition Faust erschienen, fand jetzt auf merkwürdige Weise zu mir. Schon bei der letzten Buchmesse in Frankfurt hatte mir Bernd Leukert, Mitherausgeber von Faustkultur, das Projekt in einem Gespräch vorgestellt.

In der Sakristei der Pauluskirche fand ein Gespräch über das Oratorium Der Himmel über Sodom, für das Wolfgang Kleber die Komposition und ich das Libretto erarbeitet haben, statt. Das Oratorium versteht sich als Beitrag zum Reformationsjubiläum und wird am 11. November in der Pauluskirche uraufgeführt.

Ich gebe zu, dass mein Wissen über Luther gering ist. So bereitete mir die Frage nach dem Zusammenhang des Librettos zu Martin Luther einige Schwierigkeiten. Ich antwortete, dass ja auch Luther sich mit der Frage nach (Gottes) Gerechtigkeit auseinandergesetzt hat und stellte das Oratorium in einen größeren Zusammenhang mit der Frage der Theodizee.

„Andrea Grosso Ciponte, Dacia Palmerino: „Martin Luther““ weiterlesen

Various Artists: „Sun and Moon“

tarabooks_sunandmoon

Schöne, handgedruckte Bücher aus Chennai, Indien von taraBooks

Inzwischen hat taraBooks einen festen Platz bei meinen Rundgängen über die Frankfurter Buchmesse. Und jeder Jahr bin ich begeistert von neuen Büchern.

Für Sun and Moon haben 10 Künstlerinnen und Künstler aus den Regionen Madhya Pradesh, Gujarat, Bihar, Rajasthan und Orissa in eindrücklichen grafischen Arbeiten Mythen und Erzählungen ihrer Regionen über Sonne und Mond festgehalten.

Ramsingh Urveti: „I Saw a Peacock with a Fiery Tail“

urveti_isawapeacock

Was passiert, wenn man ein aus dem 17. Jahrhundert stammendes Gedicht anonymer Herkunft, das auf zweierlei Weise gelesen werden kann, zusammenbringt mit einem Künstler aus Zentralindien, 1970 geboren und einem Buchdesigner aus São Paulo stammend, heute in New York lebend?

Es entsteht prämierte Buchkunst vom Feinsten.

Das Gedicht I Saw a Peacock with a Fiery Tail ist fester Bestandteil von Anthologien zur Kinderpoesie in England, weist in seinen Lesarten des Verrückten, Absurden und des Geordneten, Normalen aber weit über Kinderreime hinaus.

Is the difference between fantasy and reality largely grammatical? Or are these inventions the very essence of poetry […]?

Wie Ramsingh Urveti und Jonathan Yamakami dieses Gedicht für Tara Books graphisch umsetzen und als Buch gestalten, ist sehr schön. Und diese Schönheit wirkt seit 2011, inzwischen in der 3. Auflage.

Einen Einblick gibt ein Video auf Youtube. Doch, Vorsicht! Dieses Buch in eigenen Händen zu halten, ist unvergleichlich. Und man muss gar nicht auf Buchmessen sein (wie gerade aktuell in Frankfurt) oder nach Chennai reisen, wo Tara Books zuhause ist, um Bücher aus dem Verlagsprogramm zu bekommen: Runge Verlagsauslieferung (Kontaktperson: Jutta Hartmann) in Steinhagen hilft gerne weiter.

Simon Schwartz: „Packeis“

Simon Schwartz: Packeis

Im Frühjahr 1945, die Zeitungen melden den Tod Hitlers, blickt ein alter Mann in seinen Spind, holt Eimer und Wischmopp heraus und beginnt, den Boden des naturgeschichtlichen Museums zu wischen. Hier beginnt der Rückblick auf die spannende Biografie des Afroamerikaners Matthew Henson, der als erster Mensch 1909 den Nordpol erreichte, in die Sagenwelt der Inuit einging und in der amerikanischen Gesellschaft wegen seiner Hautfarbe keine Anerkennung für seine wissenschaftlichen Leistungen erhielt. In der Graphic Novel „Packeis“ zeichnet Simon Schwartz den Lebensweg Hensons frei nach, ergänzt um eine ausführliche Zeittafel und zahlreiche Fotografien im Anhang.

Irgendwann habe ich mich als Kind vom Comic abgewandt, unzählige zerfledderte Fix&Foxi, Donald Duck, etwas Superman, Asterix. Ach, lange ist das her! Graphic Novel ist für mich etwas Neues, das ich jetzt entdeckte, als meine Kinder nach Comics gefragt hatten und ich losging, um zu sehen, was es heute so gibt: Packeis, ein tolles Buch.

Tara Books, Chennai, Indien

The Night Life of Trees

Bei der Frankfurter Buchmesse 2014 nahm ich mir etwas Zeit, die Hallen der ausländischen Buchverlage zu besuchen. Dabei entdeckte ich Tara Books aus Chennai, Indien. Ein Verlag, der Bilderbücher für Erwachsene und Kinder in seiner Kooperative herstellt. Bibliophile Kostbarkeiten, wie etwa das von drei bekannten Künstlern des Gond-Stammes reich ausgestattete Bilderbuch: „The Night Life of Trees“. Das Buch ist 2006 erschienen und inzwischen in der 10. Auflage.

Die Gond, Waldbewohner in Zentralindien, sehen in den Bäumen tagsüber hart arbeitende Pflanzen, die Schatten, Schutz und Nahrung bieten. Nachts jedoch zeigt sich ihr spirituelles Wesen.

Wie die drei Künstler Bhajju Shyam, Durga Bai und Ram Singh Urveti diesen Geist uns durch ihre Illustrationen nahe bringen, ist ein Fest für die Augen. Die kurzen von Gita Wolf und Sirish Rao ins Englische gebrachten Texte geben Anhaltspunkte und lassen viel Raum für diese wunderbaren Zeichnungen.

N.B. Das Buch gibt es in deutscher Sprache bei Baobab Books.