Ein Lyrikband aus dem Jahr 1978 fiel mir aus dem Bücherregal im Prettlackschen Gartenhaus entgegen: Hanne F. Juritz, eine hessische Kollegin des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS), von 1978 – 1982 Vorstandsvorsitzende des VS Hessen.
Mit Ein Wolkenmaul fiel vom Himmel las ich zum ersten Mal Gedichte der 1942 in Straßburg geborenen Dichterin. Und dieser erste Einblick verdeutlichte einmal mehr, wie zeitlos gute Lyrik ist, wie sie sich Zeitläufen und Zeitströmungen verweigert, im Gegensatz zur Covergestaltung!
Selten habe ich ein Gedichtband gelesen, dessen erstes Gedicht so zauberhaft ist, dass es fast den Rest des Bandes zu überstrahlen vermag. Was zu der schwierigen Frage führt, ob ein Gedicht das Universum ist oder ob das Universum nur aus möglichst vielen Gedichten bestehen kann.
Jedenfalls ist das ja das Wunderbare der Lyrik: in den wenigen Versen alles hineinlegen und dann beredet schweigen.
Am Ufer des Fischteichs am Meiler
stille. das schwarze wasser
steht brackig,
dort zerbricht
ein entwurzelter baum
gruppenfische lehnen dicht an dicht
in scheuer berührung,
[…]
Mir erscheint es, als könnte ein weiteres Fischgedicht in einen Dialog über Gruppenfische und Einsamkeit eintreten, ich denke an Alter Hecht, Angelsbruck von Heinar Kipphardt aus dem Jahr 1982. Hier heißt es:
Am Abend sah ich dich springen
aus deiner schilfigen Dickung
einsam wartender Bruder
raubsüchtiger Melancholiker
[…]
Das auf den Tod warten (den anderer, den eigenen) verbindet diese beiden Texte, ihr Pessimismus oder Skeptizismus.
Zwei weitere Gedichte weisen mir den Weg zur Dichterin Juritz.
Auf langen Schatten
lispeln, anhaltendes
über der dürre des sonnenmärz
zwischen flachstotem gras
gerissenem schlamm
grobgewebt in furchen: frost
krähenrast
[…]
Schaukasten J. Beuys
wachrütteln,
wo schlaf und leben liegen
kein weiches drängen, im flüstern:
trommelfeuer, posaunen
keine abwehr des umgriffs
die gleichen regenbögen
schließen sich über den flüssen
gebeugt über grannenlose
lackschwarze ähren
bänke voll ranziger würste
[…]
Das macht spontan Lust, ins Darmstädter Landesmuseum zu gehen und den Beuys-Block so genau wie Juritz zu untersuchen. Da spüre ich Neugier, Rätselhaftes, die innovative Kraft, etwas in Sprache umzusetzen. Ich kenne die Geschichte dahinter nicht, aber die Sprache steckt ein Kraftfeld ab und lädt dazu ein, sich darin ohne den Reibungsverlust der vergangenen Dekaden aufzuladen an gültigen Worten.
Es ist nicht wenig, was Lyrik zu leisten vermag.