Theo Harych: „Hinter den schwarzen Wäldern“

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Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, während unseres Polen-Urlaubs die begonnene Lektüre Czesław Miłoszs Tal der Issa zu beenden. Unser Gastgeber Henryk empfahl mir ein anderes Buch, nicht aus mangelnder Hochachtung vor Miłosz, sondern weil die Handlung jenes Buch in der Gegend, in der wir uns befanden, spielt.

Welche Gegend ist das? Grob skizziert die Grenzregion zwischen Niederschlesien und Großpolen, in etwa einem Dreieck zwischen Odolanów (Adelnau), Ostrów Wiełkopolski und Ostrzeszów (Schildberg).

Da ein Zweig meiner Vorfahren aus dieser Gegend kommt und ich erfahren wollte, wo und wie sie gelebt haben, nahm ich mich voller Neugierde des Buches an, von dessen Autor Theo Harych ich noch nie gehört hatte. Hinter den schwarzen Wäldern (1951) ist die Kindheitsgeschichte des Schriftstellers, der von der deutschen Literaturgeschichte, insbesondere jener der DDR, vereinnahmt wird.

Dabei ist dies gar nicht so einfach. 1903 wurde Theo Harych in Doruchow geboren, Provinz Posen, Preußen zugehörig, Teil des deutschen Reiches, doch mit einer polnischen Mehrheitsbevölkerung. Die deutsche Sprache ist Pflicht, lediglich im Religionsunterricht darf Polnisch gesprochen werden. Wir sprechen von einer Gegend, in der Sprachgrenzen fließend sind. Manchmal, so Henryk, empfanden die Menschen sich als Polen, manchmal als Deutsche. Das ging auch durch die Familien.

Harych verlässt seine Heimat im Alter von sechzehn Jahren, um im Kohlerevier um Merseburg sein Glück zu suchen. Davon handelt sein zweiter Roman, der zweite Teil seine Biografie mit dem Titel Im Geiseltal (1952).

In den fünfziger Jahren wird er zum geförderten Schriftsteller in der DDR. Sein Werk gilt als proletarisch-revolutionär. Doch bereits sein dritter Roman Im Namen des Volkes? (1958), ein Aufarbeitung des Justizskandals, in dem der polnischer Landarbeiter Josef Jakubowski 1926 unschuldig zum Tode verurteilt wird, ein Werk, für das der Autor akribisch recherchiert hatte, findet nicht mehr die erhoffte Zustimmung. Ob sein Freitod im gleichen Jahr unmittelbar damit im Zusammenhang steht, darüber geben die im Internet verfügbaren Quellen keine Auskunft. Wahrscheinlich wird auch im Nachlass, der sich in der Akademie der Künste in Berlin befindet, darüber nichts zu finden sein.

Hinter den schwarzen Wäldern ist ein kraftvolles Buch, eines, das eine ganz andere Geschichte erzählt als Miłoszs Tal der Issa. Harychs Kindheit ist von Hunger, Krankheit, Armut und Gewalt gekennzeichnet. Miłoszs Figur Thomas hingegen hat die Muße, sich in die Schönheit der Orchideen zu vertiefen. Man ist geneigt von Standes- oder Klassenunterschieden zu sprechen und sich mit der Frage zu beschäftigen, welche Umstände das Werk eines Schriftstellers in die Vergessenheit oder zum Nobelpreis führen.