Wisława Szymborska: Wystarczy – Enough

Eine kleine Reihe über Bücher, die ich in Buchhandlungen außerhalb Deutschlands gekauft habe.

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Den Poesieband erstand ich in der Buchhandlung Tajne Komplety in Wrocław, der polnischen Europäischen Kulturhauptstadt 2016.

Wystarczy – Enough der polnischen Literaturnobelpreisträgerin von 1996 Wisława Szymborska beinhaltet die letzten Gedichte der Autorin in polnischer Sprache und in englischer Übersetzung durch die in den USA lebenden Irin Clare Cavanagh. Da diese Gedichte zur Zeit nicht in Deutsch vorliegen, ist es eine Annäherung an die Poesie der Polin, die 2012 in Krakau starb.

Mathias Kneip, Schriftsteller und Mitarbeiter des Polen-Instituts Darmstadt, hat Szymborskas Lyrik als Grund Nr. 27 in seinem Buch 111 Gründe, Polen zu lieben genannt.  Er schreibt:

Doch im Gegensatz zu ihm [Czesław Miłosz] erreichte die Stimme Szymborskas auch jene, die sich wenig oder gar nicht für Gedichte interessieren. Ihre Texte bedurften keiner Fußnoten, keiner Erklärung, sie spielten nicht an auf andere, hoben thematisch nicht vom Boden ab. Im Gegenteil, die Hauptfigur ihrer Poesie ist das Alltägliche.

Abgesehen davon, dass ich der Überzeugung bin, Fußnoten haben in Gedichten nichts verloren und vor- oder nachgeschobene Erklärungen helfen dem (nicht erreichbaren) Verständnis eines Gedichts wenig, mag ich Mathias Kneip in seiner Begeisterung zustimmen.

Ist aber das Alltägliche die Hauptfigur? Ich werde mir die 13 fertiggestellten Gedichte des Bandes nochmals anschauen und sicher einige englische Wörter nachschlagen müssen, hege jedoch schon nach der ersten Durchschau der Gedichte den Verdacht, dass es der Autorin nicht um das Alltägliche geht. Da ist etwas anderes. Vielleicht ist Szymborskas Sprache vielmehr der Ausdruck einer tief verwurzelten Humanität, eines unverstellten Blicks in sich hinein und auf andere, der die Grundbedingungen des Lebens, der Liebe und der Zerstörung, des Todes in wenigen Worten zu erfassen mag.

Es ist nicht die allgemeingültige Betrachtung von Gesellschaft, schon gar nicht sich wiederholende Banalitäten, es ist der besondere Moment, der von der Lyrikerin bezeugte Augenblick. Ihre Gedichte erinnern hierin an Haikudichtung, die sich auf konkrete Erlebnisse bezieht und im letzten Vers eine Konklusion herstellt, die über die zuvor geschilderte Situation weit hinausragt.

Als Beleg für diese gewagte These möchte ich die englische Übersetzung des Gedichtes Na lotnisku anführen.

At the Airport

They run to each other with open arms,
laughing, calling: At last! At last!
Both in heavy winter wraps,
thick caps,
scarves,
gloves,
boots,
but only for us.
For each other – naked.