Jeffrey Yang: „Ein Aquarium“

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It’s not a Sea World
Jeffrey Yangs Tauchgang in „Ein Aquarium“

Ich erinnere mich, wie ich Anfang 2010 von der Schönheit des Scyphocrinus elegens, einer Seelilie, atemlos wurde. Das Fossil war ausgestellt in einer der ersten Vitrinen im Ozeaneum in Stralsund. Lange stand ich dort, mit offenem Mund, aus dem offen gebliebene Fragen herauskollerten. Die Welt unter Wasser habe ich nur aus einigen nicht geglückten Schnorchelgängen an der steinigen Küste Istriens als Kind erfahren. Noch heute kann ich mir die abgebrochenen Stacheln der Seeigel, Verwandte der Seelilien aus der Familie der Stachelhäuter, in meinen Fersen vergegenwärtigen. Ich hasste diese Dinger. Erst später, sehr viel später habe ich mich bei der Übersetzung von Moya Cannons Gedicht „Sea Urchins“ mit der faszinierenden Biologie dieser Tiere beschäftigt und lernte etwas über die Laterne des Aristoteles, dem innernen Kieferapparat der Seeigel.

This search/is like diving in the ocean finding variety/on the sea floor. I’m inexperienced, I don’t have/enough breath to name the diversity of life.

Diese Zeilen aus einem meiner wenigen englischsprachigen Gedichte benennen es: um die Unterwasserwelt kennenzulernen, bin ich auf Hilfe derer angewiesen, die tauchen können und die Welt aus dieser Perspektive zu erzählen wissen.

Jeffrey Yang, ein US-amerikanischer Lyriker, geboren 1974 in Kalifornien, kann es. Und hat mit Ein Aquarium bereits 2008, von Beatrice Faßbender ins Deutsche übersetzt und 2012 im Berenberg Verlag veröffentlicht, ein viel beachtetes Lyrikdebüt vorgelegt, das mich fasziniert und mich erneut atemlos zurücklässt, an der Erdoberfläche, wo ich mit offenem Mund in Wasser, Flüsse und Meere, stiere.

Yangs Aquarium ist klein, kompakt, die Lebensformen drängen sich dicht an dicht, und doch ist das Glasbecken zugleich von einer unermesslicher Größe, die dem Habitat Universalität verleiht. Dem Kleinen im Kleinen seine Größe geben, das gelingt Yang, in dem er seine Probanden zum Ausgangspunkt einer Reise ins Unbestimmte nimmt, bei der er Worte, seine Funde sorgsam nebeneinander setzt.

Seepocke

Die Seepocke siedelt auf ewig
kopfüber in ihrem kleinen Vulkan.
Auf Fels, Schiff, Wal, Holz – sie ist
glücklich, solange es eine Strömung gibt.
Die Seepocke hat von allen Tieren
den größten Penis in Proportion
zu ihrer Körpergröße. Glück
und Proportion:
nur nicht für die Evolution schämen.

Was zunächst als Naturbeobachtung erscheint, bekommt durch Hinzufügung eines weiteren Details eine Dimension, die es mit dem potenzorientierten Patriarchat der Menschen aufnimmt und es en passant der Lächerlichkeit preisgibt.

Das letzte Gedicht dieser alphabetisch geordneten Erkundung heißt Zooxanthelle und wächst zu einem mehrseitigen Prosagedicht heran, das sich den Bombentest der US-Amerikaner im Pazifik widmet. Es geht um Vertreibung der Ureinwohner und willentlich in Kauf genommene Verstrahlung von Menschen und Umwelt. Unter anderem tauchen auch die Männer der Lucky Dragon wieder auf, denen bereits Wolfgang Weyrauch in seinem Gedicht und seinem Hörspiel Die japanischen Fischer ein Erinnerungsmal, ein Mahnmal errichtet hatte.

Ein Aquarium ist alles andere als ein vergnüglicher Besuch in Sea World, bei dem einzelne Spezies zu Kuriositäten gemacht werden. Yang schafft einen umfassenden Blick auf unsere Kultur- und Wissenschaftsgeschichte.

N.B. Der zweite Gedichtband von Jeffrey Yang mit dem Titel Yennecott ist im Frühjahr 2015 bei Berenberg erschienen.