Der Gedichtband piano von Eva Bourke erschien 2011 in der Dedalus Press, Dublin. Das Verlagshaus wirbt mit dem Satz Poetry from Ireland and the World.
Wenngleich ich mit Eva schon seit geraumer Zeit an Übersetzungen der Lyrik von Moya Cannon (Dublin) arbeite und dabei viel über die Mittlungstätigkeit des Übersetzens lernen durfte, komme ich erst jetzt dazu, Evas Lyrik in Augenschein zu nehmen, ihren besonderen Blick, der bedingt ist durch ihre Muttersprache Deutsch und ihr Leben und Arbeiten in Irland.
A beautiful useful word in German Zeitraum combines time and space in one. Does this not encapsulate the way memory works?
(aus: Journal from the Mirrored Cities )
Der Zeitraum ihrer Geburt, 1946, ist, bildlich gesprochen, wenige Minuten nach der Stunde Null, dem Neubeginn in Deutschland und Österreich nach der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945.
Damit zählt sie zur gleichen Generation wie W. G. Sebald, der 1944, wenige Minuten vor der Befreiung Europas vom Naziterror, ebenfalls in Bayern geboren wurde.
In einem Interview mit Poetry Ireland Review (Nr. 106) benennt Eva Bourke die (Schul-)Atmoshäre dieser Nachkriegszeit:
But my parents hadn’t realized that many members of the all-male teaching staff had been loyal Nazis, some even in the SS. The prevailing atmosphere was still as deeply racist and sexist as before the war.
In Elementary Poem bezieht sich Eva Bourke auf Sebalds Werk Nach der Natur. Ein Elementargedicht von 1988, in englischer Übersetzung von Michael Hamburger erst 2002 erschienen. Hamburger, mit Sebald gut befreundet, war 1933 aus Deutschland emigriert und später wichtiger Mittler der deutschen Literatur im angelsächsischen Sprachraum geworden.
Ich könnte über meine Freude sprechen, Sebald und Hamburger bei Lesungen in Frankfurt bzw. Leipzig erlebt zu haben. Das waren Veranstaltungen mit Langzeitwirkungen, die immer noch um die Fragestellung kreisen, wie es sich außerhalb des Landes der Muttersprache lebt, wie man der Muttersprache verpfichtet bleibt, ohne das Wort Vaterland und seine sich daraus ergebenden Implikationen dabei mitzudenken und daran zu verzweifeln, wie die Vermittlung einer Sprache in die andere greift, wie letzten Endes die Kultursprache der Terrorsprache mit jeder übersetzten Zeile ihre Macht nimmt. Die Poesie kann das, denn, wie Eva an anderer Stelle des Interviews sagt:
… poetry at least can offer uncorrupted speech.
Stella Rotenberg, eine österreichische Dichterin (1916-2013) floh 1939 nach England. Eva widmet ihr das Gedicht The Poet at ninety writes a letter. Darin heißt es:
[…]
As a child in the days of summer I learned
from my mother the language of stories
she taught me the poetry of sun
and bird, of leaf and grass
she taught me their green stanzas and
the epics of river and forest
she taught me the alphabet
of the rain that wrote on everything.
When I grew up
my mother’s language
was thrown stones
to feed on and dead earth.
In exile it spoke: jug bowl bread
nothing else stood on my table.
[…]
piano ist eine reiche Sammlung an Bildern, die die Welt in ihrer stillen Schönheit, in ihrer Musikalität zelebrieren, ohne den reflektierten Blick auf Terror der Vergangenheit und der Gegenwart zu verlieren.
My early life, the pastoral scenes of my childhood as well as later experiences and lessons will always be a major source of poetry for me. And of course the holocaust continues to haunt me. It has informed my consciousness and constitutes an undercurrent in everything I write.
(aus: Interview mit Poetry Ireland Review Nr. 106)
Mit dem Journal from the Mirrored Cities erarbeitet Eva, so verstehe ich den Text, eine Fortschreibung von Die unsichtbaren Städte von Italo Calvino. Aber das urbane Leben hat seine Vision, seinen Reiz verloren, vielleicht seine Unschuld, auf jeden Fall seine Anziehungskraft.
The great cities, conquered, destroyed, burnt down, rebuilt, plundered, sectioned, auctioned, sold, modernized. In side streets in dark shops we buy nostalgia. […]
Die Sehnsucht greift in eine Vorvergangenheit, einen Zustand, der sich vom modernen Leben abwendet und in der Langsamkeit das Gleichgewicht sucht. Snow Story beginnt mit dem Wunsch:
If I had one wish it would be
to have been born two or three
hundred years earlier in Japan.
I’d adopt a new name:
Banana Tree or Blue Ink Pot,
or even Cup of Tea
[…]
Auch hier finde ich den Bezug zum Haiku-Meister Issa (der Name meint: ein Schluck Tee), wie auch schon bei Ryszard Krynicki und Klaus Merz, ein weiterer Beleg, dass wir Dichter auch heute noch im Kleinen das Große sehen, in der kleinen Schnecke den großen Berg Fuji.
Dem genauen Blick auf das Kleine ist auch die Künstlerin Miriam de Búrca verpflichtet, die mit ihren Illustrationen des Covers und der Kapitelüberschriften den Gedichtband ihrer Mutter um die Existenz der Pflanzen Oxford Ragwort (Felsen-Greiskraut), Reed Canary Grass (Rohr-Glanzgras), Willow Herb (Weidenröschen), Spear Thistle (Lanzettkratzdistel) und Pepperwort (Pfefferkraut) bereichert.