Sodbrennen und Sonne
Die Pille war Täler und Berge in fernen Ländern. Verhütung war Feld und See oder endlose Mauer. Es gab keine Rettung und nichts zu schützen. Abtreibung hieß damals Gefängnis. Mit der Zeit wurdest du zur perfekten Mutter. Und manchmal nanntest du dich, wie Mama, HELDIN. In der Sozialistischen Republik Rumänien.
Um eine Kritik von „Der Himmel im Bauch“ zu schreiben, muss ich in die Mutterhöhle zurückkehren (ein literarischen Motiv, das Nobelpreisträgerin Toni Morrison in „Jazz“, wenn ich mich richtig erinnere, aufgenommen hat), in den schwebenden, pränatalen Zustand, in dem mein Geschlecht zwar schon lange feststand, aber meinen Eltern noch unbekannt war. (Mutter hoffte auf ein Mädchen. Und wie sie mir gerade mitteilt, hoffte sie später, nach meiner Geburt, immer noch auf ein Mädchen. Aber meinem Vater waren wohl zwei Jungs genug Verantwortung. Die gesellschaftliche Erwartung hatte er erfüllt.) Nur in diesem unschuldigen Stadium darf ich wagen, meinen männlichen Blick auf das Buch, auf den Bauch von Ioana Nicolaie zu werfen, denn, bin ich auch Vater zweier Kinder, ist mir die (Gefühls-)Welt der Frauen, die schwanger werden und Kinder gebären, naturgemäß verschlossen. Zurück im Fruchtwasser bin ich jedoch frei von der Last der Rollen und Klischees, finde mich in der Obhut einer Welt, deren Leid und Ungerechtigkeit nicht mit meinem Geschlecht verknüpft ist: Ich darf ich sein – ein Ungeborener, der 1965 zur Welt kam.
„Der Himmel im Bauch“, eine lyrische Prosa mit schmerzhaft schöner Bildsprache, wurde wie schon der 2008 im Pop Verlag erschienene Lyrikband „Der Norden“ von Eva Ruth Wemme ins Deutsche übertragen und knüpft an die Gedichte, mit denen Nicolaie die Erinnerungen an ihre Kindheit, an die Mutter und die elf Geschwister, literarisch verarbeitet, an. Wie könnte eine Schwangerschaft keine Gegebenheit sein, zeitgleich in die Zukunft und in die Vergangenheit zu sehen? Die Weitergabe des Lebens als Atempause im Getriebe des Weltgeschehens. Eine Atempause, in der die Hoffnung sprießt und die Angst wuchert.
Auf einer von mehreren Ebenen des Buchs ist „Der Himmel im Bauch“ ein Tagebuch, besser: ein Monatsbuch, in dem die Veränderungen während der Schwangerschaft festgehalten werden.
Das Kind wächst weiter. Wenn es jetzt geboren würde, hätte es wenig Chancen zu überleben. Seine Lungen sind noch nicht weit genug entwickelt.
Aber das Buch geht weit darüber hinaus, lediglich intimes Zeugnis zu sein, das die Entwicklung des Fötus‘ festhält. Nicolaie stellt ihre Schwangerschaft in einen historischen Kontext. Sie sagt:
Es ist ein Buch darüber, wie und dass sich die Geschichte durch die Frauen hindurch fortsetzt.
Das Dekret 770 vom Oktober 1966, verschärft in 1972 und 1985, verfolgte das Ziel, die Geburtenrate in Rumänien schnell zu steigern. Nicolae Ceauşescu verbot Verhütung und Abtreibung. Während mit dem Beginn der Siebziger Jahre sich in Deutschland Ost (1972) und West (1976) eine Fristenregelung für die Abtreibung durchsetzte, führte der Eingriff des Staates ins Privatleben der Bevölkerung Rumäniens zu einer hohen Rate illegaler Abtreibungen und der Kriminalisierung der Frauen, die die Situation in anderen europäischen Ländern bei Weitem übertraf. Menschen, wie der Regisseur Cristian Mungiu, dessen mit der Goldenen Palme ausgezeichneter Film „4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“ sich dem Thema widmet, bezeichnen sich als Decreței, als Dekretkinder.
In Deutschland stand der von der SS getragene Lebensborn e. V. für die Erhöhung der Geburtenrate unter staatlich-ideologischer Aufsicht und drängt sich als Analogie auf.
Wenngleich direkt nach dem Sturzs Ceauşescus von der neuen Regierung eine Fristenregelung installiert wurde, ist diese dunkle Vergangenheit auch für eine 1974 geborene Frau wie Nicolaie, die im 21. Jahrhundert ihr Kind bekommt, allgegenwärtig: im Schicksal der Mutter …
Mutter dachte, die Welt sei nur Schmerz. Tagtäglich kniete sie nieder zum Sterben. Tag für Tag jammerte sie hin zu einem Dort. „Nimm mich zu dir, Herr, nimm mich fort von hier!“ Und wir flehten sie an, bewachten sie, damit sie nicht ging. Wir, der Schatten des Höchsten. Von Ihm in die doppelten Schultersäcke gepackt. Denn Leiden ist Strafe. „Durch euch gehen die Sünden in türlose Kammern. Und wenn ich sterbe, werd ich fast schon ein Engel sein.“
Nie sagte sie etwas über das neue Kind. Zwischen ihren zusammengepressten Lippen versteckte sie einen Zaunübertritt. Sie machte sich aus Kleidern und Webdecken ein Versteck. In Breien und Dämpfen fand sie benommene Schuld. Aus den heißen Schwämmen webte sie sich geblümte Gewänder. Mama sagte nie etwas. Nur ihr stiefmütterlicher Bauch leuchtete darunter.
… und aus eigener Erfahrung.
Wir waren zukünftige Frauen und hatten Kinder zur Welt zu bringen. Ganz ausgezogen kamen wir der Reihe nach zum Arzt ins Zimmer. Mit vierzehn wog ich ungefähr so viel. Ich hatte, was wir brauchten, war reisefertig. Wir waren Zahlenketten in Karteibögen. Mit Knochen und Brüsten, mit dem was wir sein würden. Bloß waren die Apotheken an bestimmten Tagen ein Vorhängeschloss. Nichts Hilfreiches gab es da.
Die Gewissheit, als Schwangere und künftig Gebärende ein Teil rumänischer Geschichte, die über ein Vierteljahrhundert von Diktatur und Unrecht geprägt war, zu sein, zeigt sich von Anbeginn dieser Schwangerschaft als Angst. Objekt oder Subjekt? Gefäß oder Mensch? Die Freude, Vorfreude, die freudige Erwartung muss sich von der Vergangenheit, aus der Verzagtheit lösen und findet in der Frage nach der Zukunft einen offenen Anfang: Das Wunder, die Pein der Geburt.
Ich lebe unter ungeborenen Kindern. Ich scheine beim Fotograf zu sein und verängstigt. Drinnen bist du, ein Junge mit Einzelheiten, die ihre Flucht planen. Ich krame verzagt unter den Eisplanen. Eine Metallsäge schneidet stur Richtung Hände. Ich bin verängstigt und so verwundert. Wie wirst du mit den Schmerzen verhandeln?
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Zusätzlicher Literaturtipp: Kerstin Preiwuß „Gespür für Licht“.