Ein Löffel voll Tat …
„Der Durchbruch“ von Christian Wöllecke, 1984 in Radebeul geboren, ist eine kurze Erzählung, die uns die Absurdität des Lebens vor Augen hält. Als Heft 165 der Reihe „Schöner Lesen“ ist sie ein Produkt von SuKuLTuR, Berlin. Die Titelillustration stammt von der 1993 in Weimar geborenen Kommunikationsdesignerin Luise Hesse.
Absurd, ich schlage das Wort nochmals nach: misstönend, dem gesunden Menschenverstand widersprechend, abwegig, sinnlos. Ich habe noch eine Bedeutung im Ohr, die sich mir durch die Beschäftigung mit Albert Camus im Rahmen meiner mündlichen Abiturprüfung 1984 eingeprägt hat. Das Absurde als eine Kraft, die dem vom Menschen sich selbst gegebenen Sinn, seinen Lebensprojektionen entgegenwirkt, eine Sinnenttäuschung. Camus‘ Umgang mit der Absurdität: Erkenntnis, Annahme, Revolte.
Das Absurde hat nur insofern einen Sinn, als man sich nicht mit ihm abfindet.
Hubert Koschottka, Rentner, kommt mit den Menschen und der neuen Zeit nicht mehr klar.
In den Kneipen rote, verquollene Gesichter und dann noch Meinert, ehemaliger Arbeitskollege, der ihn um ein, zwei Bierchen anpumpt. Auch der Isia-Imbiss mit Morcheln, Ume-Pflaumen und Dauergrinsen ist auf die Dauer keine Alternative. Dann lieber zu Hause, wo im Hobbykeller eine Welt wartet, in der er sich zurechtfindet, eine Eisenbahnplatte 2 x 3 Meter, Züge, Gebirge, Tunnel und die Figuren der Preiser-Sonderedition „Vollschlank“. Da schmeckt das Bier und die sauren Gürkchen. Alles wäre bestens, wäre da nicht die Stelle im Rasen, die trotz seine Bemühungen Jahr um Jahr kahl bleibt. Und wäre da nicht der neue Nachbar, der im Partykeller lärmt und Koschottka aus seiner Eisenbahneridylle vertreibt.
Angefüttert mit guten Ratschlägen aus dem Fernsehprogramm, beschließt Koschottka, alte Bärte abzuschneiden. Er begehrt auf. Schreitet zur Tat.
Doch statt eine Mauer als Schutzwall gegen die neue Zeit, den Partykeller, so zu errichten, dass er sie sich von außen betrachten kann, mauert er sich ein. Da die Lagerung der Ziegelsteine über Jahre jedoch keinen Sinn gemacht hätte, würde er nun sein Werk gleich wieder zerstören, beschließt er kurzerhand, die Mauer zum Nachbar durchzubrechen und in dessen Keller zu gelangen. Dort nimmt er sich zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank und bewundert die Modellbahn des Nachbarn, die, technisch gesehen, seine Anlage bei weitem übertrifft.
TT und HO: Möge zusammenwachsen, was zusammen gehört!
Wer schreibt eine solche Geschichte? Das Leben. Wöllecke macht aus einer Zeitungsmeldung des Kreisanzeigers Bitterfeld vom 3.9.2002 ein gutes Stück Literatur, augenzwinkernd und hintergründig.
… ist besser als ein Scheffel voll Rat.