Jaromír Typlt: „oder schnurstracks“

Korund / wieder eines dieser Wörter –
Korund / zase jedno z těch slov

In den Gedichten von Jaromir Typlt, 1973 in Nová Paka geboren, bietet die Rauigkeit der Oberflächen, die Rauheit des vom Autor eingesetzten Sprachmaterials, einen Zugang zur Essenz dieser Poesie. Nachzuspüren ist das in einer Gedichtsauswahl, die nun in der Edition OstroVers bei hochroth Leipzig zweisprachig erschienen ist, aus dem Tschechischen übersetzt von Martin Mutschler.

Es geht hier nicht um das Ergebnis von Glättungen, die durch Schleifmittel mit unterschiedlicher Körnung in mehreren Arbeitsgängen erreicht werden, bis die Oberfläche keinen Widerstand mehr bietet. Wenn Mutschler in seinem kurzen Essay über die poetische Welt Typlts von surrealistisch behauchten Zwischenwelten spricht, dann sehe ich ein trauriges Kind vor mir, das seinen Atem an die Fensterscheibe wirft und vielleicht die Kraft hat, ein Wort mit dem Finger auf diese Oberfläche zu schreiben, die unter anderem einst einmal Quarzsand gewesen war.

Es geht um die Offenlegung des Arbeitsprozesses, eben um Zwischenwelten.

Glatte Oberflächen sind schlicht uninteressant. (So war es nicht mangelnder Fleiß, als ich in meiner Ausbildung zum Schreiner das Schleifpapier vorzeitig weglegte, dem Buchenholz die ein oder andere Riefe [wieder so ein Wort] ließ, während die anderen in der Lehrwerkstatt schleiften, schmirgelten, ja, das Holz fast, Schuhen gleich, wichsten, bis es glänzte.)

Es besteht Verletzungsgefahr an nicht geglättete Scharfkantigkeit.

Aus den Stockwerken hängen
Tausende aufgerissene Kabel, Rohre, Deckplatten.
Solch
weißer zerlumpter Körper.
Du siehst die Tauben auf zerklüfteten Geschossen landen
[…]
(aus: Rühr dich nicht)

scharfe Steinchen vom Drachenbach scheuern aneinander

und es tönt mir wie mehr als nah
aus dem Kopfinnern
ein plötzlicher Unterdruck im Ohr, in das man hineinstach
[…]
(aus:  Die Kanne)

Besonders beeindruckend ist das längste Gedicht am Ende der Auswahl, bei dem das Schmirgeln zur Metapher der Wahnhaftigkeit wird. Das lyrische Ich begegnet František, einem Menschen, der plötzlich erdunkelt und dessen Gesicht einstürzt. Er lebt allein in einem Haus. Am Ende führt die Ich-Person den Kranken aus dem Haus und bringt ihn in eine psychiatrische Klinik. Oberflächlich gesehen eine Routine, birgt die Begegnung doch Beunruhigung, Verunsicherung, Erregung.

ich werde mit ihm durch die Landschaft gehen im scharfen Frühlingslicht,
Flimmern ringsum, kahle Schatten von Stämmen,
Steinchen, auf den Weg geschwemmt, hemmend jeden Moment,
eine frische, edle,
noch ungeglättete Welt.
[…]
(aus: Bruckstück B101)

Die zersplitterte Welt erscheint wie ein magischen Sog, dem sich niemand entziehen kann. Die Verletzung als Beweis, lebend zu sein.

Keine Ahnung hab ich
warum ich mich immer an ein Wort klammere
irgend so ein Wort
an dem ich zuletzt zerschelle
[…]
(aus: Lebend)

Nach diesen Verletzungen unerwartet zart hingegen sein poetischer Dialog:

Boot bin ich
und scheues Segel du,

[…]

zwei Wasser mit einer Oberfläche

oder zwei Oberflächen
auf einem einzigen Wasser?
(aus: Dunkeln)

Typlts Gedichte zu lesen ist nur das halbe Vergnügen. Zu hören war der Tscheche im Mai 2014 als Gast des 7. Europäischen Poesiefestivals in Frankfurt am Main. Er ist Soundpoet. Im multimedialen Zusammenspiel mit elektronischer Musik, besser: Soundobjekten, und Video kommen seine Gedichte zur vollen Entfaltung. Mehr unter www.typlt.cz/english/.