Eva Bourke: „Seeing yellow“

Das Feuer der Sonnenblumen

Das dem neuen Gedichtband von Eva Bourke titelgebende Gedicht Seeing Yellow kommt mir wie eine Aufforderung vor, sich zeitweilig von unserer bunten Welt zu verabschieden und den Fokus des Sehens auf eine Farbe zu legen. Entsprechende Filter hat das menschlische Auge nicht, und doch: Diese Einzelbetrachtung ist eine Übung der Wahrnehmung, die uns über die Bedeutung der Farbe Gelb reflektieren lässt.

Ich greife mir Derek Jarmans Chroma. Ein Buch der Farben (aus dem Englischen von Almuth Carstens, Merve Verlag, Berlin 1995) aus dem Buchregal heraus und schlage sein Kapitel zu Gelb auf.

Bin ich auf dem richtigen Weg? Das Cover von Seeing Yellow zeigt eine Studie aus der Serie For the birds von Benjamin de Búrca, Bourkes Sohn, der mit Bárbara Wagner als Künstlerpaar im Bereich Videokunst und Fotografie arbeitet. Benjamin hat in Glasgow Malerei studiert. Ich bin mir sicher, dass Jarmans Chroma auch in seinem Bücherregal steht.

Jarman schreibt:

Der Frühling kommt mit Schellkraut und Narzisse. Der gelbe Raps macht Bienen schwindelig. Gelb ist eine schwierige Farbe, vergänglich wie die Mimose, die ihren Blütenstaub abwirft, wenn die Sonne untergeht.

Die Verbindung von Strahlkraft und Vergänglichkeit ist auch die über allen Gedichten dieses Bands schwebenden Energie, die mit Worten die Erdschwere, die Trauer im Zaum hält und die Liebe zu den Menschen feiert.

Das Gedicht Seeing Yellow ist dem irischen Dichter Pearse Hutchinson (1927-2012) gewidmet. Ein ins Krankenhaus mitgebrachter Blumenstrauß lässt den gebrechlichen Hutchinson lächeln. In seiner Freude rezitiert er, der lange Jahre in Barcelona lebte, ein katalanisches Gedicht.  Und mit I can see yellow erinnert er sich eines Satzes von Rimbaud.

Dieser klingt so selbstverständlich, doch wenn wir nochmals an Jarman denken und seine durch den HI-Virus ausgelöste Erblindung, können wir vielleicht auch die Freude, die Krankheit und Tod fern hält, ermessen.

Bourke schreibt:

We stood, looking at his fine, old man’s face,
the rich white curls of his beard, his eyes humorous
behind thick lenses. We saw him at the edge
of a yellow field, the flowers swaying a little
on tall green stems around him,
their dark sun faces,
their yellow light.

Ein bleibendes Bild: ein alter Mann am Rand eines gelben Blumenfeldes. Die Poesie gibt uns die Kraft, solche Bilder dem Tod entgegenzusetzen.

Mit Catch of the Day ist Bourke bei den Krabbenfischern am Meer, die ihren Fang in die Restaurants tragen. Dort werden die Krabben auf Platten mit Dill und Lorbeer serviert als ginge es um

a funeral or a poetry prize.

Trauer und Freude liegen als zwei Möglichkeiten eng beieinander.

In By the river geht Bourke zurück in ihre Kindheit. Die Wertach wird zum Fluss der Vergangenheit, die über die eigene hinausgeht. Römische Legionen, das Blut der Juden, Hexen, Soldaten: gegenwärtig. Doch im unmittelbaren Kontakt mit der Natur weicht das Wissen aus dem Geschichtsunterricht zurück.

The footpath lost itself
in a green tangle,
a childhood riddle
of brambles and nettles
but the child’s memories course
through the blood
and the pebble still tastes
of ice and heat.

Schon in piano, dem zuvor erschienenen Band, war mir eine Nähe zu W. G. Sebald deutlich geworden.

Beide verbindet die Wertach: Sebald wurde in Wertach im Allgäu geboren, Bourke lebte als Kind in Augsburg. Zwei Menschen, die ihr Leben der Vermittlung der Literatur zwischen deutschsprachigem und englischsprachigem Publikum widmen.

Die 39 Gedichte dieses Bands sind reich an Kunst und Musik:
Summer with Juan Miró, Trompe-l’Oeil, Mozart in Paris, The Irish Tenor Michael Kelly Recalls, Song, um einige zu nennen. Wie wichtig das Thema Musik ist, hat Bourke schon mit ihrer, gemeinsam mit Vincent Woods, herausgegebenen Anthologie fermata unter Beweis gestellt.

Ihr Werk, ihre Übersetzertätigkeit und Herausgeberschaft sollte in Deutschland eine größere Würdigung erfahren.

Im letzten Gedicht Plans ist der Tod in das Leben der Autorin eingetreten. Bourkes Ehemann Eoin starb am 28.12.2017. Das Gedicht liest sich als trauriges, zuweilen zorniges, jedenfalls leidenschaftliches Plädoyer für die Liebe und das Leben.

Es berührt mich sehr, nicht nur weil ich Eoin bei zwei Besuchen in Berlin kennenlernen durfte.