Wer war Juan Bosch?
Anschließend stattete der Präsident uns einen Besuch ab. Er saß in Papás altem Schaukelstuhl, trank eine geeiste limonada und erzählte mir seine Geschichte. Er sagte, er werde eine Menge ändern: Die alten Generäle werde er abservieren, weil an ihren Händen das Bluts der Mirabal-Schwestern klebe; all die Ländereien, die sie sich angeeignet hätten, werde er unter den Armen verteilen lassen; und er wolle dafür sorgen, daß wir auf unser Land stolz sein können und es nicht von imperialistischen yanquis beherrscht werde.
Im Roman Die Zeit der Schmetterlinge aus dem Jahr 1994 der 1950 in der Dominikanischen Republik geborenen Schriftstellerin Julia Alvarez (Übersetzung aus dem Amerikanischen Englisch: Carina von Enzensberg und Hartmut Zahn) kommt Juan Bosch am Ende als Nebenfigur vor.
Bosch steht für den Bruch der über dreißig Jahre andauernden Trujillo-Diktatur, steht für die Hoffnung der Menschen auf bessere Zeiten. Wer Boschs Biografie nachliest, wird lesen, wie diese Hoffnungen innerhalb von Monaten zunichte gemacht wurden, wie die yanquis mit ihrem Geheimdienst und lokalen Eliten tiefgreifenden soziale Änderungen verhinderten, mit ihrer von Antikommunismus gelenkten Sichtweise das Elend der Menschen verlängerten und die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur verhinderten.
Alvarez floh mit ihren Eltern 1960 in die USA. Ihr Vater war im Widerstand gegen Trujillo. Mit der Flucht erzog er sich Verhaftung, Folter und Tod.
In Die Zeit der Schmetterlinge nimmt Alvarez den gewaltsamen Tod der drei Geschwister Patria, Minerva und Maria Teresa Mirabal (Las Mariposas genannt) sowie ihres Fahrers Rufino de la Cruz auf, die am 25. November 1960 in den Bergen von Trujillos Häschern ermordert wurden.
Die Fakten genau recherchiert, wachsen Alvarez‘ literarische über die historischen Figuren hinaus. Dabei ist nicht wichtig nachzuvollziehen, an welchen Stellen sich Alvarez die ihr als Schriftstellerin notwendige Freiheit nimmt, um von dem abzuweichen, was durch Quellen verbürgt ist.
Dieses Hinauswachsen, Größerwerden der Figuren – das arbeitet Alvarez überzeugend heraus – ist mitnichten ein literarisches Phänomen. Die Widerstandskämpferinnen Mirabal wurden vergöttert, beklatscht, bewundert, aufs Podest gehoben, unter anderem deswegen, weil andere nicht den Mut hatten, den Mund aufzumachen und dafür die Konsequenzen zu tragen. Es war leicht, sich hinter ihnen zu verstecken.
Der Roman erzählt aus wechselnden Perspektiven der Geschwister, wie sie, aus einer wohlhabenden Familie stammend, immer enger in das Gravitationsfeld des Diktators geraten. Dabei führt Alvarez ihrer Protagonistinnen, für mich überraschend, sehr nahe an den Diktator heran. Die Ohrfeige, die Minerva Trujillo gibt, als er beim Tanz anzüglich wird, erweist sich als Auslöser einer Verfolgung und Unterdrückung, an deren Ende der Mord als Racheakt einer gekränkten männlichen Eitelkeit erscheint. Nicht auszuschließen, dass die ihm verweigerte Jungfräulichkeit Minervas dem Egomanen sehr missfällt, aber hier wird die Komplexität der Machtverhältnisse, der Handlungsoptionen doch zu vereinfacht dargestellt, zu sehr, wie ein anderer Rezensent schrieb, personalisiert.
Dédé ist die vierte Schwester, die nicht aktiv im Widerstand war und nicht bei dem inszenierten Autounfall ums Leben kam. Sie erinnert sich in einer erzählerischen Klammer an ihre Schwestern zu Beginn, als eine fremde Frau zu ihr kommt, um sie auszufragen und im Epilog, in dem die Geschehnisse nach dem Unfall berichtet werden. Dédé ist das Gewissen und das Gedächtnis der Nation (auch dieses Urteil nichts anderes als Denkmalpflege). Die Last, die sie trägt, die quälenden Erinnerungen, das Großziehen der Kinder ihrer Schwestern, ist immens. Sie sieht die Veränderungen, die nicht wirklich zum Guten sind, weil ein Neubeginn nicht mit der Aufarbeitung dessen, was war, einhergeht, sondern mit Verdrängung oder Glorifizierung der Widerstandsheldinnen.
Aber es gibt da etwas, was mein Zittern auslöst, etwas, das ich nicht gern laut ausspreche. Ich sage es nur ein einziges Mal, und damit Schluß: Sind die Schmetterlinge dafür geopfert worden?