Kum’a Ndumbe III. (Hrsg.): „So war das bei der Zwangsarbeit …“

Reihe: Jetzt berichten afrikanische Zeitzeugen …

Interview eines betagten Basaa
Papa Pegha André über die deutsche Kolonialzeit

Die Fondation AfricAvenir International führt das Projekt „Africa’s Collective Memory“ in Kooperation mit der Gerda Henkel Stiftung durch. Kamerunische Zeitzeugen der deutschen Kolonialzeit (1884-1916) berichten in ihren Sprachen.

Kolonialgeschichte wird durch deren Erinnerungen aus der Perspektive der Opfer geschrieben. Und auch in deutscher Sprache erfahrbar. Von den 15 zur Zeit verfügbaren Buchtiteln, die auf der gerade zu Ende gegangenen Frankfurter Buchmesse präsentiert wurden, sind drei Titel ins Deutsche übersetzt.

(Das hier besprochene Buch wurde von Dr. David André Njock  transkribiert und von Basaa ins Französische, von Peter Sondermeyer vom Französischen ins Deutsche übersetzt.)

Dabei sind die Ausgangssprachen der in den achtziger Jahren mit Tonkassetten aufgenommenen Zeugnisse vielfältig: Duala, Bakoko, Basaa, Ewondo, Eton, Manguissa, Yemba, Medumba, Shupamem, Pidgin und Französisch.

Jedem Buch ist eine Audio-CD hinzugefügt, die beim Hören eine Ahnung davon gibt, wie aufwändig es war, diese Tonaufnahmen zu digitalisieren, die Interviews zu transkribieren und zu übersetzen.

In einem Leitfaden zur Lektüre der Transskriptionen gibt es für Leser*innen, die die Ausgangssprache beherrschen, wichtige Hinweise, die auch dem Nichtkundigen eine Vorstellung von den Problemstellungen der Linguistik geben.

Jedes Buch ist ein Zeugnis, das subjektiv einen Teil der Kolonialgeschichte in sich trägt, inklusive offensichtlicher Irrtümer, Verwechslungen, Lücken, die bei der größten Exaktheit der Erinnerungen jedem Menschen unterlaufen.  In der Zusammenschau und der anschließend vorzunehmenden wissenschaftlichen Aufarbeitung jedoch wird daraus ein notwendiges Gegenbild zur deutschen Geschichtsschreibung, das aus Einzelstimmen ein fundiertes Wissen werden lässt und das geschehene Unrecht, von dem Politik und Gesellschaft in Deutschland ganz sicher nichts hören möchten, benennt. Um so erfreulicher, dass mit der deutschen Gerda Henkel Stiftung sich eine Institution gefunden hat, die mit ihren Mitteln gegen die Ignoranz arbeitet.

Der Titel „So war das bei der Zwangsarbeit …“ weckt die Erwartungshaltung, dass der Interviewte Basaa Papa Pegha André die Grausamkeiten der Zwangsrekrutierungen und der Zwangsarbeit intensiv beleuchtet, ja in den Mittelpunkt seines Zeugnisses stellt.

Das tut er nicht, vielmehr entsteht ein Gesamtbild einer Gesellschaft, der Volksgruppe der Basaa, zu Beginn, während und nach der deutschen Kolonisation. Das Interview, Gesamtlänge der Tonaufnahme beträgt 2 Stunden 54 Minuten und 25 Sekunden, ist sehr viel mehr.

Es ist sicher auch dem offenbar sehr gut vorbereiteten Interviewer zu verdanken, dass die Erinnerungen des Befragten nicht ausufern, sondern um bestimmte Themenkomplexe bewegt werden. Es ist eine Fragetechnik, die mich an Claude Lanzmanns Interviews mit Überlebenden der Shoah denken lässt: Raum lassen und doch hartnäckig bleiben, mit Fragen in Menschen dringen, Traumata aufbrechen.

Hier ein kurzer Ausschnitt vom Anfang des Interviews.

Pegha André:
Sie sind hier vorbeigekommen, die ersten Weißen, die zu uns kamen. Sie haben eine Anlegestelle gesucht. Staudammbau. Der Hafen beim Staudamm, die Weißen sind über diesen Hafen am Staudamm gekommen. Die allerersten Weißen sind bei ihrer Ankunft am Hafen geblieben. Eine Frau namens Ngu Basusuga, Ex-Frau von Komol, hat sie entdeckt, wie sie dort saßen.

Interviewer:
War das eine Frau aus der Gegend? War sie von hier?

Pegha André:
Es war eine Frau aus Pendjok.

Interviewer:
Aus Pendjok?

Pegha André:
Ja.

Interviewer:
Ja.

Pegha André:
Tochter Pendjoks. Als sie eintraf, grüßten die Fremden sie. Dann haben sie ihr mit Handbewegungen vom Mund zum Bauch zu verstehen gegeben, dass sie Hunger hatten. Die Frau kehrte zum Dorf zurück, um ihrem Mann Bescheid zu geben. In einem Anflug von Mitgefühl brachte sie ihnen zu essen, in Begleitung ihrer Tochter. Die Fremden nahmen die Mahlzeit freundlich entgegen, als sie das junge Mädchen sahen, und diese Schönheit zarten Alters ließ sie nicht kalt. Die Fremden hielten das junge Mädchen zurück und ließen die Mutter ins Dorf zurückgehen … Was die Deutschen da trieben, das waren schon die ersten Vorzeichen ihres Scheiterns hier bei uns.

Ein Scheitern freilich, dass vielen Menschen in Kamerun das Leben gekostet hat. Ein Scheitern durch moralische Verkommenheit und  primitive Machtinstinkte, dies attestiert uns der etwa 96 Jahre alte Papa Pegha André.