Bela Chekurishvili und Irma Shiolashvili wurden 1974 in Georgien geboren, studierten und arbeiteten in Tbilissi. Zur Zeit leben beide in Bonn und waren im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse 2018 mit dem Ehrengast Georgia – made by Characters auf gemeinsamer Lesereise.
Ein Anlass, ihre jeweils neuesten Lyrikbände nebeneinander zu legen, nach gemeinsamen Wurzeln zu suchen und nach dem Maß der Entfremdung in der neuen Heimat Ausschau zu halten.
Bela Chekurishvili: „Barfuß“
Übersetzung: Lika Kevlishvili (interlinear) und Norbert Hummelt
90 Seiten, Erscheinungsjahr: 2018
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg
Irma Shiolashvili: „Kopfüber“
Nachdichtung: Sabine Schiffner
92 Seiten, bilingual: georgisch – deutsch, Erscheinungsjahr: 2018
Pop Verlag, Ludwigsburg
Dem Knopf als Alltagsgegenstand kommt meist nur eine Beachtung zu, wenn er ab ist. Das er zusammenhält, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Wird er gewaltsam abgetrennt, wie etwa im Kinderfilmklassiker Der Krieg der Knöpfe aus dem Jahr 1962, so handelt es sich stets um eine Verletzung der Intimität, um eine Entehrung. Was aber, wenn der Mensch sich selbst losreißt, sich aus der punktuellen Befestigung des Knopfes befreit?
Die Knöpfe an den Kleidern sind von jeher ängstlich, und sie sind nicht treu.
Fasst man sie an, dann springen sie zur Seite
und wir spüren, wir müssen uns von diesen falschen Wächtern trennen,
je früher, desto besser, abgerissen, weg damit –
und stürmisch wollen wir mit nackten Armen
die Lebenstraube, wie sie schäumt, empfangen
(aus: Bela Chekurishvilis „Das Ohr“)
So liegt es da, tausend bunte Knöpfe, so ist mein Leben.
Es hält Vergangenheit und Gegenwart gleichmütig aus
(aus: Irma Shiolashvilis „Mein Leben“)
Hier das Verlangen, sich des Knopfes zu entledigen, um Nacktheit zu spüren, schäumendes Leben, dort als Metapher für vielfältige Lebenserfahrungen, die bereits vom Körper abgetrennt sind, da liegen und Draufsicht, Rückschau ermöglichen.
Weiter heißt es bei Shiolashvili:
Und die Bäume, die immer weiter nach oben streben,
treiben an dieser ewigen Schwelle Knospen aus.
Es redet die so wunderbar gesegnete Erde,
Worte wie Veilchen kommen aus ihrem Mund.
Ich stehe und weiß nicht, wohin ich gehen werde
mit meinen Geschichten, reflektiert von des Spiegels Grund.
(aus: Irma Shiolashvilis „Mein Leben“)
Der Baum als Metapher für das Leben ist eine sich durch die Lyrik ziehende Konstante. Dabei werden die Eigenschaften Stärke, Widerstandskraft in der Vordergrund gestellt, weniger häufig lesen wir über die Verletzlichkeit. Chekurishvili nimmt das Bedeutungspaar Kraft und Schwäche, es ist kein Gegensatz, vielmehr zeigt es zwei Facetten einer Existenz, auf.
Heute schwingt mein Sohn auf dieser Schaukel
und denkt vielleicht, der Baum, dem er sein Leben anvertraut,
sei seine Mutter.
[…]
Er glaubt an diesen Baum und zweifelt nicht,
dass ich ein Baum bin.
Ich bin jedoch die Mistel,
die hoch im Wipfel einen Ast umklammert,
die wurzellos ist und blassgrün von Farbe,
die sich von anderen ernährt, von deren Saft und Licht
und nur ganz selten wagt sie einen Blick zur Erde
(aus: Bela Chekurishvilis „Mistel“)
Erinnerungen an die Kindheit lassen in Deutschland die ferne Heimat auferstehen, in einer unberührten Reinheit, die völlig unabhängig von Authenzität oder Verklärung ein Existenzrecht formuliert: Ich bin, weil ich war.
Erinnert euch doch mal,
als ihr selbst noch Kinder wart,
war’s doch egal, womit man spielt –
ein Holzpferd mit kaputtem Bein oder ’ne Mickey Mouse in roter Hose
oder ein Teddy, dem man Mantelknöpfe angenäht hat statt der Augen.
Es kam doch nur darauf an, dass man sein Eckchen fand,
irgendwo, wo keiner hinsah,
unter der großen Tischdecke, die wie ein Zelt gebaut war,
auf dem Speicher, in der Abstellkammer, in der Scheune, und im Baumhaus…
(aus: Bela Chekurishvilis „Das Glück namens Wiese“)
Was sollte ich tun,
wenn mein Vater mir aus den Augen floss und
die Mutter in meinen Wörtern blühte?
Ich schloss mich im Schlafzimmer ein und schrieb.
In meiner Kindheit gab es so viel Großes.
Von der rechten Wandseite fielen die Bücher herunter und
der Geruch von Einsamkeit und Leben
strömte wie Tränen
in die Herzen und die Hände meiner Bücherhelden.
(aus: Irma Shiolashvilis „Kreis – geflogen von einem Bumerang“)
Doch die Bestandsaufnahme der Gegenwart ist von stolzer Einsamkeit geprägt.
Ständig ist sie mitgewachsen,
ob ich nun meine Schuhspitzen betrachtete,
mir Kaffee eingoss oder einen Reifen um meine Hüften kreisen ließ.
Ich versuchte es mit Nichtbeachtung,
dachte, wenn ich sie nicht sehe, ist sie auch nicht da
(aus: Bela Chekurishvilis „Solitude“)
Ich starre auf flatterndes Nebelhaar,
zu Zöpfen gebunden, ich muss mich bücken,
und nähre meine Einsamkeit,
der unerfüllbaren Wünsche Zeuge.
Irgendwann war ich nicht länger bereit,
aus meinen Händen
die Rose der Liebe wachsen zu lassen.
Blutige Stellen auf meinem Rücken
entlarven mein Leid,
meine Schmerzen sind kaum zu fassen.
(aus: Irma Shiolashvilis „Fels“)
Norbert Hummelt und Sabine Schiffner haben bei ihrer deutschen Übertragung, Nachdichtung, die Verse, wo es sich anbot, in Reime gebracht. Das gelingt nicht durchgängig, es entsteht eine Sprache, die zwischen gebunden und frei pendelt. Auch das ist Ausdruck dessen, was die beiden Autorinnen an Wechseln durchleben und sich dabei nach einem Ort sehnen.
Und ich ziehe zwischen Berg und See
und ich suche mein Zuhause,
einen Ort, um einen Nagel einzuschlagen, meinen Mantel dranzuhängen
(aus: Bela Chekurishvilis „Der Nagel“)
Wie viele Knöpfe wird der Mantel haben, wenn er am Nagel hängt?