Antoinette Tidjani Alou: „Tina shot me between the eyes and other stories“

Bei der Frankfurter Buchmesse 2018 traf ich auf der Bühne der Lettres d’Afrique, eines von Raphaël Thierry organisierten Programms, das afrikanische Editionen  (und weitere frankophone Verlage aus Vietnam und Haiti) vorstellte, die nigerianischen Journalistin und Bloggerin Olatoun Williams. Begeistert erzählte sie mir, dass sie am nächsten Tag eine Lesung mit Gespräch mit Antoinette Tidjani Alou moderiere, deren erste Sammlung von Stories dieses Jahr in der senegalesischan Editions Amalion herausgebracht wurde.

Tidjani Alou wurde in Jamaica geboren und lebt heute in Niger. Sie unterrichtet Französisch und Komparatistik an der Université Abdou Moumouni de Niamey. Ihr Schreiben in englischer und französischer Sprache umfasst Life-Writing, Poesie und Short-Stories. Sie arbeitet auch als Übersetzerin. 2014 kam sie mit der sechsten Regional Residency for African Women Writers von Femrite nach Schweden ans Baltic Center for Writers and Translators auf Gotland.

Die fünfzehn Geschichten bezeugen, dass hier eine literarische Stimme spricht, die wir nicht ignorieren können, die wir ins Deutsche übertragen müssen.

Mein Englisch ist nicht ausgebildet genug für die Feinheiten der Texte, diese Unzulänglichkeit verbinde ich mit dem Aufruf an jene Menschen, die sich für weibliche afrikanische Literatur in Deutschland interessieren, das Buch zu übersetzen und zu verlegen (oder Übersetzung und Verlag zu vermitteln).

Mein Englisch ist ausreichend, um zu spüren, wie sehr die Autorin mit ihren Figuren arbeitet, um ein Außen im Innen und vice versa zu erreichen:  Grenzüberschreitung, Fremde, Entfremdung, Suche nach Heimat, Täuschung, Enttäuschung. Tidjani Alou scheut sich nicht, von Gewalt, Sexualität und Religion zu erzählen. Die Abbrüche, die ihre Geschichten kennzeichnen, sprechen von Verbindungen, Wurzeln.

So beginnt die titelgebende Geschichte Tina shoot me between the eyes für den Mann mit dem Ende:

Tina shot me between the eyes. I should have seen it coming, but I hadn’t. In an epiphany of red, I discovered that I had gone too far. The pain, too, went away as I gushed out, was catapulted up and away from my body. In a state of shock, I resisted the blue light. I could not leave. I hovered obstinately above the scene.

Das hartnäckige Schweben über der blutüberströmten Szenerie nutzt der Protagonist, sein Leben aufzurollen, seine Beziehung zu Tina, seine Liebe, die irgendwann in Eifersucht und Gewalt umschlägt. Da das Ende am Anfang steht, ist interessant, die Stelle zu finden, an der sich die Änderung zum Schlechten vollzogen hat.

Tidjani Alou arbeitet mit Perspektivwechseln, so wird in Odds and Ends der Tod eines Hundes, der von einem LKW-Fahrer überrollt wurde, mehrfach erzählt. Dadurch verliert ein scheinbar unbedeutender Vorgang seine Banalität, es zeigt sich, wie sehr der Besitzerin das Tier ein Lebensbegleiter war.

„But… anyway… the poor beast is dead, Mama!“
„Beast, y’rass!“ the Old Lady shouted.
„I’m not your fucking mother and this dog has a name!“

Spielen viele der Geschichten in Afrika und sprechen von verschiedenen Sprachen, die nicht miteinander kommunizieren können,  und von unterschiedlichen Religionen, Sitten, gesellschaftlichen Erwartungen, spüren wir die Wurzeln der Autorin besonders in Granpa Joseph und Woman to Woman.

(Als Leser unterliege ich freilich immer wieder dem Fehler, in den Figuren Spiegelungen der Autorin/des Autors zu sehen. Doch bin ich von der Existenz eines aufrichtigen Schreibens überzeugt, bei dem die Instanz Autorin/Autor mittels ihrer Figuren auf eine wahrhafte Suche geht, um etwas über sich selbst zu erfahren.)

Woman to Woman endet mit der Frage:

Does she say all this for my mother or for me?

Hier ist gerade nicht wichtig, wer she ist, sondern, dass diese Fragestellung mir bekannt vorkommt. Die existentielle Frage nach der Generationenfolge: Wir können unsere Wurzeln nicht verleugnen. Wir dürfen unsere Wurzeln nicht verlieren.

Lesenswert! Übersetzenswert!