Emailbläue
Der georgische Lyriker, Übersetzer und Filmautor Amiran (Pako) Swimonischwili starb 2014 im Alter von vierzig Jahren.
2018, dem Jahr, als Georgien Guest of Honour der Frankfurter Buchmesse war, erschien eine umfangreiche Sammlung von Gedichten in einem zweisprachig gestalteten Band, für den der Schweizer Thomas Häusermann für die Übersetzungen, die akribisch verzeichneten Anmerkungen und das Nachwort verantwortlich zeichnet. Er schreibt:
Die kommentierte Übersetzung möchte interessierten Lesern helfen, die Distanz zwischen Georgien und dem deutschsprachigen Raum, zwischen dem in einigermaßen geordneten Bahnen dahinlebenden Europa und dem von der aktuellen Geschichte gebeutelten Kaukasus wenn nicht überwindbar, so doch erkennbar zu machen. Ich hoffe, die langjährige Freundschaft mit Pako, dessen Gedichte ich anfangs aus reiner Neugier zu übersetzen versuchte, wird mir diese Aufgabe erleichtern.
Was hier aus dem Antrieb der Entdeckerlust geschaffen wurde, darf man schlicht als Glücksfall ansehen. Mit Häusermann, der Germanistik, Slawistik und Klavier studierte, nimmt sich einer Swimonischwilis Gedichte an, dessen Musikalität, dessen geschultes Gehör, dessen Rhythmussicherheit und dessen Freundschaft zum Autor und seiner Familie ihm Inspiration und Anleitung gibt, wie die deutschen Versionen aussehen, wie sie sich anhören können.
Der Konsonantenreichtum der georgischen Sprache erlaubt ein virtuoses Spiel mit Assonanzen und unreimen Reimen, das Pako gerne und nicht nur am Versende nutzt.
Eine Übersetzung kann diese Kunstfertigkeit nicht wiedergeben. […] Stattdessen bemüht sie sich – gewissermassen als Hinweis auf die Wahrung der klassischen Formen im Original – eine gleichmässige Metrik einzuhalten.
Ausgestattet mit vielen Details, die Häusermann durch den Autor in Gesprächen erfahren hat, gelingt es dem Übersetzer, die sicher für westeuropäisch geschulte Ohren überreiche Fülle an Anspielungen, Zitaten, ausladenden Metaphern nachzuzeichnen.
Seine Gedichte sprechen
von der Suche nach einem verantwortbaren Weg für den Einzelnen und für sein Land in einer Zeit voller Verwirrung und voller großer Perspektiven.
Soweit der Verlagstext. Es geht dabei nicht nur um die jüngere Geschichte Georgiens nach der Unabhängigkeit im Jahr 1991 und den gesellschaftlichen Umwälzungen, vielmehr um eine historische Perspektive, die weit in die Jahrhunderte zurückgreift, zu den Wurzeln der Religionen führt und zum Verhältnis des Individuums zu Autoritäten jeglicher Art. Denn bei aller Rückschau, bei allem historischen Erbe, das für kleine Nationen von essientieller Bedeutung ist, führt Swimonischwilis Blick mit intensiver Stärke in die Gegenwart, in das Sehnen des Menschen nach Glück, nach Freiheit, nach Erfüllung. Die Wucht seiner Worte machen dabei den frühen Verlust seiner poetischen Stimme um so schmerzlicher.
Du hast dich von mir losgerissen wie der Wind von seinem Ausgang,
das Auge mag die Emailbläue nicht mehr zu verhehlen,
und was darunter hängt, das Brombeerdickicht der Wimpern,
wird in göttlicher Sonnenträne verbrennen.
Der Nachmittag bringt sein Herabkommen zu Ende,
sein Spielzeug – längst ist er es müde –
wirft er wie goldene Münzen
verstreuten Sternen hin.
Verbluten will die Stille
am Grenzstein des Dorfs.
Den Weg der Reue zeichnet vor,
der ohne Anfang ist.
Die Einöde schwindet, Reisenden bleibt eine feuchte Zelle,
und im umgekippten Weinkrüglein
ein betrunkener Abend.
Die Bläue ist nicht nur Farbe der Augen, die Richtung Europa blicken, auf der Suche nach Anerkennung, nach Dazugehörigkeit, sondern zutiefst religiöse Konnotation, die christliche Fundamente hat, aber sich islamischen Einflüssen nicht verschließt.
Über Swimonischwilis Film Auf der Fährte der Dauerwelt schreibt Häusermann im Nachwort:
Mit seinen mehrfachen Überblendungen vom persischen ins georgische Mittelalter bis in die Gegenwart verschiedener Kulturen kommt dieser Film Swimonischwilis Gedichten am nächsten.
Vielleicht übten daher Bauwerke, die die Vielfalt der kulturellen Einflüsse ablesbar lassen, einen besonderen Eindruck auf Swimonischwili.
Abend, Hagia Sophia
Licht geht einher mit dem Atem des schwarzen Meeres,
auf einer Handfläche findet der Verkündigung Schrecken Platz.
Sie trinkt mit großen Augen aus Sonnenpfützen
und
(Saphir ist sie, dunkler als jede Woge)
begleitet Christus:
die abendliche Maria.
Swimonischwilis Gedichte sind keine leichte Lektüre, keine Teekränzchenpoesie, wie der Übersetzer mit einem Augenzwinkern schreibt. Und sicher bin ich weit davon entfernt, durch eine einfache Lektüre in die Welt des Autors vorgestoßen zu sein. Ich erinnere mich gern an das Gespräch mit Häusermann am Rande einer Lesung auf der Frankfurter Buchmesse 2018. Seine ruhige, konzentrierte Sprache, mit der er mir Swimonischwili näher brachte, empfand ich als Geschenk.