Kim Kyung-Uk: „Was? Leslie Cheung ist tot?“

Schiff der Barbaren

Der Band Was? Leslie Cheung ist tot? versammelt neun Erzählungen des 1971 in Gwanju geborenen koreanischen Schriftstellers Kim Kyung-Uk, der zur Neuen Generation gehört. Er hat mehrere Erzählbände und Romane geschrieben und ist für sein Werk ausgezeichnet worden.

Hyuk-Sook Kim und Manfred Selzer haben für diese erste Veröffentlichung in deutscher Sprache eine repräsentative Auswahl der Erzählungen vorgenommen, um uns mit dem Autor und seinen Themen bekannt zu machen. Diese knüpfen durchaus auch an jene der ebenfalls vom Duo Kim | Selzer übersetzten Eun Hee-Kyung an. Ich denke an Großstadtleben und Einsamkeit. Doch der Sound ist anders als bei der 1959 geborenen Eun. Die Geschichten haben eher eine absurde Note, denn eine traurig-depressive wie bei Eun.

Letzte Nacht hörte ich eine Trompete.
[…]

Ich erzählte von der Trompete, die jede Nacht erklang, wenn es regnete. Der Polizist schrieb den Kern meiner Aussage sorgfältig auf seinen Notizblock. Ab und zu vergewisserte er sich, indem er mich fragte: „Sind Sie sicher?“, aber er stellte sonst keine weiteren Fragen.
(aus: Die schönen Ureinwohner des Rosengartens)

Die Geschichten sind gegenwärtig, in Chatrooms, vorm Fernseher verortet, folgen den Spuren von Versicherungsbetrügern, spielen nicht im Zirkus Fernando, sondern auf den Straßen Seouls, arbeiten sich an Romantik (im Kinosaal) ab und den zwischenmenschlischen Prozessen der Ehe und der Scheidung.

Es war auch der Fernseher, der über das Krankenbett meines Vaters wachte, welcher es sehr schwer gehabt haben musste. Er starb beim Fernsehen. Seine letzten Worte lauteten: „Mach lauter.“ Ob er unbedingt wissen wollte, wie das Wetter am Tag seiner Beerdigung wird?“
(aus: Alibi für einen Schmetterling)

Sind die ersten acht Erzählungen also voller Ereignisse, die mit der Erwartungen der Menschen um die Milleniumswende spielen und den Protagonisten die Sinnlosigkeit vor Augen führen, so geht die am Ende stehende Erzählung einen weiten Weg zurück ins 17. Jahrhundert. Sie basiert auf historischem Quellenmaterial und ist ein krönender Abschluss dieses sehr gelungenen Erzählbandes.

Darin kommt Jan Jansz Weltevree vor, der Kim auch zu seinem 2007 erschienen Roman Tausendjähriges Reich inspiriert hat.

„Kennst du diesen Mann?“, wollte der Statthalter von Quelpart wissen.
„Ein Mann aus unserem Heimtland?“, fragten wir alle zusammen wie aus einem Munde.
„Nein. Er ist ein Coreaner“, sagte der Statthalter unumwunden laut lachend.
Nicht unmittelbar, sondern erst später verstanden wir die Bedeutung seiner Worte. Der Königsbote, der Mann mit dem roten Bart, konnte unsere Sprache leidlich sprechen. Er stotterte wie ein Kind, das gerade die Sprache erlernte.
„Wer bist Ihr und woher kommst Ihr?“
„Wir sind Niederländer aus Amsterdam. Wir sind von Formosa unterwegs nach Nagasaki gewesen und der allmächtige Herr hat uns die Weiterfahrt verwehrt. Deshalb mussten wir fünf Tage lang gegen einen Sturm ankämpfen, bis wir hier auf dieser Insel gestrandet sind. Wer sind Sie?“
„Ich bin Jan Janse Weltevree, ein Mensch aus De Rijp. Ich habe im Jahr 1626 mit dem Schiff Hollandia meine Heimatland verlassen. Ich habe im Jahr 1627 mit dem Schiff Ouwerkerck nach Nagasaki gefahren. Ich habe unterwegs Trinkwasser wollen holen. Ich habe auf dem Festland gegangen und ich habe mit zwei meinen Kollegen festgenommen.“
[…]
„Ich habe dem König gefordert, mich nach Nagasaki schicken. Der König hat gesagt: ‚Wenn du ein Vogel bist, du fliegst, aber Ausländer schicken wir nicht nach außen, das ist Gesetz mein Land. Du bleibst bis Ende hier, ich werde dir schützen.'“
(aus: Sayonara, Nagasaki)

Ein Text, der Sprachverlust, Verbannung, Assimilierung, Identitätsraub und Machtapparat thematisiert, wie es Christoph Ransmayer mit seiner Figur Naso in Die letzte Welt vorgeführt hat.

Sayonara, Nagasaki ist eine grandiose Erzählung. Gerne möchte ich mehr über Weltevree aus der Sicht Kims erfahren.

Hyuk-Sook Kim, Manfred Selzer: Bitte den Roman Tausendjähriges Reich ins Deutsche übersetzen!