Rosario Castellanos: „Das dunkle Lächeln der Catalina Díaz“

Magie am Wegesrand

Wieder mal ein Buch, das ich aus einer auf der Straße abgestellten Bücherkiste, der Hinweis Zum Mitnehmen erübrigte sich ob der Offensichtlichkeit dieses Angebots, mitgenommen und in Obhut genommen habe …

Oficio de tinieblas der mexikanischen Schriftstellerin Rosario Castellanos (1925-1974) erschien 1993 in der Übersetzung von Petra Strien-Bourmer in deutscher Sprache unter dem Titel Das dunkle Lächeln der Catalina Díaz.

Das obige Cover zeigt die Sonderedition von 2003 mit dem blumigen Untertitel Der magische Roman vom Aufstand in Chiapas.

Marketinginstrumente können Literatur beschädigen. Es darf gefragt werden, in wie weit Vorgaben des Originals auch bezüglich des mutmaßlich von der Autorin gewählten Titels ignoriert werden dürfen, den man mit Messe der Finsternis übersetzen sollte, bezugnehmend auf die zentrale Stelle des Romans, in der das zur Sonnenfinsternis geborene Kind Domingo gekreuzigt wird. In der französische Übersetzung heißt der Roman Le Christ des ténèbre, wörtlich Christus der Finsternis.

Statt Blumigkeit der Verkaufsförderung hätte man besser die Kraft darauf verwendet, ein sauberes Korrektorat diesem Stück Weltliteratur angedeihen zu lassen. Das Buch ist angefüllt mit Flüchtigkeitsfehler, die ein aufmerksames Korrektorat hätte entfernen müssen. Der Höhepunkt bildet der auf Seite drei falsch geschrieben Titel, dort steht: Das dunkle Lächeln der Catalin Díaz.

Castellanos‘ Roman ist Weltliteratur im doppelten Sinne. Er entführt uns in den seit 1823 zu Mexico gehörenden Bundesstaat Chiapas, der offiziell Freier und Souveräner Staat Chiapas heißt und in dem heute etwa ein Fünftel der Bevölkerung indigener Abstammung ist. Weltliteratur entsteht, wo eine aus der priviligierten Schicht der Ladinos kommende Frau, sich schreibend für die Unterpriviligierten (Frauen, Indios, Indiofrauen) einsetzt und ihr Leiden, ihr Schicksal, ihre Unterdrückung wortreich und literarisch meisterlich thematisiert.

Die Sprache der Indios, hier steht Tzotzil im Vordergrund, ist den Großgrundbesitzern der Provinz keine Sprache, so wie die Indios keine Menschen sind, sondern Arbeitskraft und, im Falle der Frauen, Lustobjekt.

Der am Kreuz endende Domingo ist das Ergebnis einer Vergewaltigung an dem 14jährigen Indio-Mädchen Marcela durch Don Leonardo Cifuentes, der die von der Regierung beschlossene Umverteilung von Landbesitz zugunsten der Indios mit allen Mitteln boykottiert und, als es später zu Gewaltexzessen kommt, unbeschadet von diesen Machenschaften eine glänzende politische Karriere vor sich hat.

Nein, dieses Mal wird Domingo nicht das Bewußtsein verlieren. Er wird Opfer sein, aber auch Zeuge seiner eigenen Exekution.

Die Nägel, die sie ihm durch die Hände und die Füße treiben wollen, sind groß und rostig, weil sie lange Zeit aufbewahrt worden sind. Als sie das Fleisch durchbohren, zersplittern die Knochen, platzen die Adern und zerreißen die Sehnen.

Domingo jammert, ohne noch zu wissen, warum. Denn wenn jemand auf die Idee käme, ihn zu fragen, ob er leide, wäre er nicht in der Lage gewesen zu antworten. Das Leiden ist ein Wort, das man abwägt und das ein bestimmtes Gewicht hat, und will man es aussprechen, genügt die Stimme. Doch Domingo ist bereits jenseits jeglicher Stimme und jeglichen Maßes.

Es lohnt sich, diesen Roman zu lesen. Es lohnt sich, sich mit dieser wichtigen Autorin auseinanderzusetzen. Ihr immer noch aktuelles Werk ist nicht gerade reichhaltig in andere Sprachen übertragen worden.