Ray Lavallee und Judith Silverthorne: „Die Würdigung des Bisons – Eine Legende der Plains Cree“

Vorschau Frankfurter Buchmesse 2020, Ehrengast: Kanada
Vom Rentier zum Bison – Die Überreichung der GastRolle anderer Art

Meinen Besuch bei der Frankfurter Buchmesse 2019 beschloss ich mit Traditional Sámi Joik and Joik Poetry, vorgetragen von Inga Ravna Eira, Biret Riste Sara und Karen Anne Buljo am Sonntagmittag im Ehrengast-Pavillon. Dabei wurde abermals, wie in den Tagen zuvor, über die große Bedeutung der Rentier-Herden für die Sámi gesprochen. Alle Körperteile des Rentiers sind den Sámi von Nutzen.

Das galt auch für ein anderes Säugetier, den Bison, der für den Kultur der Cree in Kanada von überragender Bedeutung war. Einst gab es viele Millionen Bisons, die die weiten Ebenen bevölkerten. (Heute gibt es etwa 20000 wildlebende Bisons.)

Daran erinnert das preisgekrönte Buch Die Würdigung des Bisons. Eine Legende der Plains Cree, das gerade im Verlag MONS in einer bilingualen Fassung erschienen ist. Dass hier die Sprache Plains Cree oder auch Dialekt Y gezeigt und in Beziehung zur deutschen Sprache gesetzt wird, allein das ist bedeutend im Internationalen Jahr der indigenen Sprachen 2019.

An dem Projekt sind und waren eine Reihe von Personen beteiligt. Erzählt von Raymond Lavallee (1941-2016), Wächter der Weisheit und Heiler der Cree, der der Autorin Judith Silverthorne das Vertrauen schenkte, die Legende aufzuschreiben. Die Illustrationen stammen von Mike Keepness. Die von Silverthrone niedergeschriebene englische Fassung wurde von Randy Morin, Jean Okimāsis und Arok Wolvengrey in die hier aufgenommene lateinische Schreibweise des Cree übersetzt. Aus dem Französischen ins Deutsche wurde die Legende von Wolfgang Barth übertragen.

Der Großvater nimmt seinen Enkel mit aufs Land und zeigt ihm, wo die Bisonherde einst entlanggezogen sind. Dabei erzählt er von den früheren Zeiten.

Der Bison opferte sich den Cree, als sie aus den bewaldeten Zonen kamen und in den Great Plains auf Nahrungssuche gingen.

Eines Tages sagte der Bison zum Schöpfer:
„Ich sehe, dass die Zweibeiner in die Plains gekommen sind und Hilfe brauchen, um hier leben zu können. Ich würde ihnen gern helfen.“
„Was willst du für sie tun, Bison?“, fragte der Schöpfer.
„Ich selbst werde mich anbieten. Ich möchte ihnen alle Teile meines Körpers überlassen, denn diese sind alle gleich nützlich.“

Das Buch möchte lehren, verlorenes Wissen vermitteln an eine Generation, die einen Bison höchstens aus dem Zoo kennt. Das belegt der Annex, in dem Wissenswertes über den Bison zusammengefasst wird und auch Abbildungen von Gegenständen aus dem Royal Saskatchewan Museum zu sehen sind, die aus dem Körper hergestellt wurden.

Der Bison erzählt dem überrascht scheinenden Schöpfer, was alles aus ihm hergestellt werden kann. Hier eine kleine Auflistung:

Halfter, Seile, Satteldecken, Kopfkissen, Puppen, Armbänder, Talismane, Handschuhe, Mokassins, Haarbürsten, Medizinbeutel, Rasseln, Wasserbehälter, Kochgefäße, Grundstoff für Farben, Wetterschutz, Gürtel, Kopfschmuck, Patronentaschen, Messeretuis, Riemen, Masken, Schilde, Lassos, Mörser, Boote, Bandagen, Tipis, Lendenschurze, Wiegen, Wandteppiche, Werkzeuge, Waffen, Pfeifen, Pinsel, Schaufeln, Tanzstöcke, Kufen, Würfel, Pfeilspitzen, Leim, Kerzen, Seifen, Haarpomade, Halsketten, Zauberstäbe, Fliegenklatschen, Brennstoff …

„Du scheinst alles zu haben, was sie zu ihrem täglichen Leben brauchen“, meinte der Schöpfer. „Du wirst ihnen Schutz, Nahrung und Kleidung liefern und Werkzeuge, Waffen und Geräte schenken.“
„Es gibt nichts, was nicht genutzt werden könnte,“ sagte der Bison.

Das Motto des Gastland-Auftritts Kanadas im nächsten Jahr in Frankfurt lautet Singular Plurality | Einzigartige Vielfalt.