Rozmawiac o ciemnosci w takim jasnym cieniu
Über das Dunkel sprechen in so hellem Schatten
Der Poesie wohnt die Kraft des Trostes inne. Sie ist geeignet, Menschen, die sich im Dunkel der Tage, und damit meine ich bei Weitem nicht nur die Zeit vor Weihnachten, verlieren, aufzurichten und ihnen Hoffnung zu geben. Sie konkurriert somit unweigerlich mit Religion, die ebensolche Angebote versendet.
Ich bin als Katholik ein Anfänger,
der versucht, Gut und Böse zu trennen,
aber nicht weiß, wie sie sich unterscheiden,
vor allem in der Morgen- und Abenddämmerung, wenn
das Licht einen langen Augenblick zögert.
(aus: Erstkommunion)
Adam Zagajewski zu lesen, seine Lyrik mit den Augen (oder bei Lesungen mit den Ohren) aufzunehmen, ist ein großes Geschenk, das uns der 1945 in Lemberg geborene Dichter reicht.
Poesie ist der Königsweg,
der uns am weitesten führt.
(aus: Poesie ist die Suche nach Glanz)
Für den Band Unsichtbare Hand (2012) wählte der Autor Gedichte aus seinen drei Bänden Powrót (2003), Anteny (2005) und Niewidzialna ręka (2009) aus. Aus dem Polnischen übertrug Renate Schmidgall in eine einfühlsame und liquide Sprache, flüssig und werthaltig. 2009 wurde Schmidgall mit dem Karl-Dedecius-Preis (für ihre Übersetzungen polnischer Literatur ins Deutsche) ausgezeichnet.
Warum aber die Begegnung mit den Gedichten mehr als zehn Jahre nach ihrer Entstehung? Warum einhaken, wo andere längst abgehakt haben?
Einfache Antwort: Die Gedichte haben etwas zu sagen! Sie sind nachhaltig. Sie sind geschichtsbewusst und zeitlos zugleich. Sie haben die Fähigkeit, Chronologie aufzuheben und an den Kern menschlicher Existenz zu gelangen. C’est tout dire!
Nachdem Zagajewski 2002 aus dem Exil nach Polen zurückkehrt, werden in seinen Gedichten des Bandes Rückkehr (poln. Powrót) die Erinnerungen greifbar. Sie machen sich an Straßenzügen gleich Gesichtszügen fest.
Karmelicka-Straße, blaue Straßenbahn, Sonne,
September, erster Tag nach den Ferien,
manche sind von weiten Reisen zurück,
Panzerdivisionen fallen in Polen ein,
Kinder gehen zur Schule in schönen Kleidern,
weiß und blau wie Segel und Meer,
wie Erinnerung und Inspiration, und wie Tauben.
(aus: Karmelicka-Straße)
Doch der Blick zurück ist nicht ungetrübt. Zagajewski fragt:
lohnte es sich zu denken und zu erinnern, […]
[…]
ja nein ja nein –
nichts streichen.
(aus: Lohnte es sich)
Die Trübung der Erinnerung, es ist auch ein Thema einer Kind-Eltern-Relation, wie sie der erwachsene Sohn Adam an und mit seinem Vater erlebt.
Vater erinnert sich an fast nichts mehr. Mit kleinen Ausnahmen.
Erinnerst du dich, wie du Sender für die AK repariert hast?
Natürlich erinnere ich mich. Hattest du Angst?
Ich weiß nicht mehr. Und hatte Mama Angst? Ich weiß nicht.
An der Garten in der Piaskowa-Straße? Klar.
Wie blühende Linden duften? Nein.
Erinnerst du dich an Herrn Romer? Manchmal.
(aus: Mit Vater spazieren)
Den krankheitsbedingten Verlust der Erinnerung, Demenz, erlebe ich gerade an und mit meiner Mutter, die in wenigen Tagen 80 Jahre alt wird. Noch sind ihre Antworten ähnlich gestreut, aber bereits nicht mehr zuverlässig abrufbar. Sie geht den Weg ins Dunkel des Vergessens, vom heutigen Standpunkt aus können wir sprechen, und der Schatten, den die Krankheit wirft, ist noch hell. Wenn es mir gelingt, die Krankheit anzunehmen, kann ich die Zeit nutzen, kleine Brücken für sie und mich zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu schlagen.
Später (wann wird es sein, bereits im neuen Jahr oder erst in fünf Jahren?) wird die Erinnerung gelöscht sein.
Jetzt, da du das Gedächtnis verloren hast
und nur hilflos lächeln kannst,
möchte ich dir helfen – hast doch einst
du, wie ein Demiurg, meine Phantasie geöffnet.
Ich denke an unsere Ausflüge, Wolken aus Wolle,
tief über dem feuchten Wald in den Bergen schwebend
(in diesem Wald kannstest du jeden Pfad), und auch
an den Sommertag, als wir auf die Spitze
des hohen Leuchtturms an der Ostsee kletterten
und lange auf das endlose Wogen des Meeres schauten,
seine weißen Nähte zerfranst wie Heftfäden.
[…]
Ich kann dir nicht helfen, ich habe nur ein Gedächtnis.
(aus: Jetzt, da du das Gedächtnis verloren hast)
Ich weiß nicht zu sagen, wie aus tiefster Verzweiflung Trost zu ziehen ist. Die Unteilbarkeit des Gedächtnisses mag auch ein Schlüssel zu Hoffnung sein.