Aurélia Lassaque: „Per que canten las blandas | Auf dass die Salamander singen“

la freula ronda de la terra | das zerbrechliche Rund der Erde

Sonnwendfeiern haben eine lange Tradition. Als Mensch, der in Städten aufgewachsen ist und lebt, bin ich von dieser Tradition weitgehend abgeschnitten, nur wenige Male habe ich in ländlicher Umgebung das Feuer zur Sommerwende, zum längsten Tag des Jahres miterlebt.

Aurélia Lassaque führt uns im ersten Teil ihres zweisprachig okzitanisch-deutschen Gedichtbandes Per que canten las blandas | Auf dass die Salamander singen (ins Deutsche übersetzt von Schirin Nowrousian) die knisternde Stimmung, die Unruhe dicht vor Augen: SonnenwendeDer Schrei des Janus.

Die Gewissheiten sind rar, eine diffuse Angst macht sich in den Herzen breit: Jetzt werden die Tage wieder kürzer. Wir versinken im Dunkel. Was, wenn das Licht unseres Lebens im Herbst, im Winter erlischt? Die Existenz ist zerbrechlich. Und in diesem Wissen und Fühlen steigert sich die Anspannung zum Höhepunkt des Sommers als Moment des Unvergänglichen, des Jetzt: Atemzug um Atemzug, ich lebe! Anfang und Ende, Dualität des Seins.

Die an der Jahreszeitengrenze errichtete Scheune
verströmt den Duft warmen Grases.

Die halbwüchsigen Pferde stampfen und bekriegen sich
aus Freude, den Schweiß ihrer Körper mit dem Geschmack
ersten Blutes zu vermischen.

Locker formatiert zieht sich der Johannistag, die Johannisnacht  – mehr Leerstelle als Ereignisreichtum – über die Seiten. Was passiert, ist nicht das Offensichtliche, sondern das Subtile.

Hinter den geschlossenen Läden der Häuser knirscht das
Holz und schwillt, vor Ungeduld.

Verlangen lässt kaum noch Luft.

Zu Füßen des Holzhaufens glühen die Trommelfelle,
auf den Körpern perlt das Blut,
und laut geht der Atem.

Lassaques Bildsprache ist schön und reichhaltig. Sie weiß die Spannung in Worte zu kanalisieren: Des Abends, in den Höhepunkt mündend Des Nachts und das Danach als Frühe Sommerdämmerung.

Es braucht hier nicht mehr verraten zu werden. Aber um doch noch eine Strophe aufzurufen, die mir als Beleg für Zerbrechlichkeit dient:

Unter den wacklenden Tischen und Stühlen spielen Kinder
die Erzählung der ersten Menschen nach …

Der zweite Teil des Bandes trägt den Titel  … Und die Faune tanzen, es ist eine Sammlung von 23 Gedichten, die konventionell gesetzt sind, ein Gedicht, eine oder zwei Seiten, ohne den Weißraum, wie er im ersten Teil das Ungesagte und die unerträgliche Anspannung verdeutlicht.

Ein Gedicht greift nochmals direkt auf den ersten Teil zu.

Der schweifende Bach
führt bis an die Ufer
seine Erinnerungen an Schnee.
(aus: Zur Stunde der Sonnenwende …)

Anfang und Ende. Licht und Schatten. Hitze und Frost: Janus.

Die Träume von Orpheus und Eurydike nebeneinander zu stellen, ist immer wieder reizvoll. Eine Liebeskonstellation, über die vieles gesagt und geschrieben wurde. Und immer noch das Rätsel: Was hat die beiden Liebenden getrennt?

Ich werde Sandstädte errichten,
um den Fluss auszutrocknen, von dem niemand je
wiederkehrt.
(aus: Orpheus‘ Traum)

Allmachtsphantasie, Anmaßung, Größenwahn?

Ich werde in meiner Tasche Äpfel haben, die ich
jemanden, ärmer als ich, gestohlen habe.
(aus: Eurydikes Traum)

Scham, Scham und nochmals Scham?

Die Übersetzungen von Nowrousian lesen sich flüssig. Schaut man ins Detail, und dafür sind zweisprachige Lyrikbände eine Einladung, unabhängig davon, ob die Lesenden die Ausgangssprache beherrschen oder nicht, so fällt abermals ins Auge, wie die deutsche Sprache über eine lange Strecke geht, bis sie ihr sprachlich-poetisches Potenzial ausschöpft, während romanische Sprachen kondensierter sein dürfen.

Ein Beispiel:

Lo solelh al zenit embeu l’anar de la mainada enferonida

Die Sonne im Zenit schluckt die Bewegungen der
schlagartig scheu gewordenen Schar von Kindern.

Manchmal fallen in den deutschen Fassungen Alliterationen auf, die sich nicht aus dem Original ableiten lassen. Mein Eindruck ist, es wäre besser gewesen, sie an einigen Stellen aufzubrechen:

– Griff des Grases
schlüpfrige Schlangen (da wird Sprache annähernd zum Klischee)
– Hoch im Himmel heult
– Bewegung des letztes Lichts auf ihren langen Lidern 

Nochmals der Zusammenhang des letzten Beispiels:

S’es endormida, la bèla,
breçada pel moviment de la darrièra lutz sus sa longas parpèlas.

Die Schöne ist in Schlaf gefallen,
eingelullt von der Bewegung des letzten Lichts auf ihren langen Lidern.

Das ist ein kleiner Kritikpunkt an einem sehr schönen Gedichtband. Es enthält Bilder, die nachwirken, nachwärmen. Wie unerlässlich, wo die Tage schon wieder zusammengekürzt sind.

Die Autorin und die Übersetzerin belegen poetisch, wie vielfältig die Sprachlandschaft Europas ist und dass wir nicht ins Amazonasbecken reisen müssen, um über aussterbende Sprachen zu sinnieren.

Schirin Nowrousian hat zum Welttag der Poesie einen weiteren Beitrag zur Sprachvielfalt geleistet, in dem sie zwei Zeilen ihrer Poesie in verschiedene Sprachen übersetzen ließ.

Licht dieser Welt, der Bäume und der Augen.
Wo bist du. Wo. Und wohin gehst du. Dieserart.

Noch fehlt eine okzitanische Übersetzung. Das lässt sich sicher noch bis zur Wintersonnwende nachholen.