Tuncer Cücenoğlu: „Çıkmaz Sokak – Die Sackgasse“

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Am Pfingstmontag werde ich eine gemeinsame Lesung mit dem türkischen Dramatiker Tuncer Cücenoğlu im Rahmen des 8. Europäischen Poesiefestivals in Frankfurt am Main gestalten. Einladung und Programm des Festivals folgen in den kommenden Tagen.

In Vorbereitung zu dieser Lesung habe ich heute das Drama „Çıkmaz Sokak“ gelesen, das von Yücel Erten aus Istanbul übersetzt wurde und unter dem Titel „Die Sackgasse“ auf dem Webseite von Tuncer Cücenoğlu als Download zur Verfügung steht.

Das Stück ist im oben abgebildeten Band in 1. Auflage 1993 erschienen.

„Die Sackgasse“ ist ein Kammerspiel in zwei Teilen mit drei Personen. Celika (30 Jahre) und Lilika (20 Jahre), Geschwister, treffen auf Spanos (45 Jahre). Die Wohnung, in der die Handlung spielt, liegt in den Außenbezirken Athens. Wir befinden uns im Jahr 1974, im Jahre 7 nach dem Militärputsch der Obristen in Griechenland.

Es ist eine Begegnung eines Folterers mit seinen Opfern, die bereit sind, sich zu rächen, für das, was der Polizist der Familie angetan hat. Lilika kommen am Ende Zweifel, ob Rache und angedrohte Folter angemessen sind.

L:Es soll nichts vergessen werden. Aber was du vorhast, ist auch keine richtige Lösung.
C: „Dann belehr mich mal, wie wohl die richtige Lösung aussehen soll.“
L: „In vielen Länder hat man sie nachher vors Gericht gestellt und verurteilt …“

Ich denke daran, was am Wochenende anlässlich der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau ein Überlebender gesagt hat. Die Nazis waren keine Unmenschen, nein, sie waren Menschen, die ebenso gut morden konnten, wie sie zeitgleich treusorgende, gefühlvolle Ehemänner und Väter waren.

Als Celika Spanos mitteilt, dass sein Sohn entführt wurde und ein Anruf von ihr genüge, um ihn foltern zu lassen, da bricht der Familienvater zusammen und bettelt um das Leben seines Sohnes.

S: „Mein Sohn? Er hat doch mit nichts zu tun. Er hat keine Schuld! […] Mach mit mir, was du willst! Aber lass meinem Sohn aus dem Spiel, ja? Bitte! Ich bitte dich!“

Die Frage, ob die Nachfolgegeneration für die Taten der Täter haftbar gemacht werden kann, hat Albert Camus in „Die Gerechten“ durchgespielt. Der Gewaltakt am Großfürsten scheitert zunächst, weil er mit seinem Neffen in der Kutsche reist.

Ein ähnliches Szenario wie bei „Die Sackgasse“ findet sich im Film „Min dît“ des türkischen Regisseurs Miraz Bezar aus dem Jahr 2009. Auch hier wird Rache mit Waffengewalt geplant, doch viel wirksamer erweist sich die soziale Ächtung des Täters durch Flugblätter, die bekannt machen, dass der Ehemann und Familienvater als Geheimdienstmitarbeiter für staatlich organisierten Mord zuständig ist.