Daša Drndić: „Sonnenschein“

dasadrndic_sonnenschein

„Das macht mir Angst, wenn in Menschen, die Ungeheuer sind, von denen wir wissen, dass sie Ungeheuer sind, Metzger, Schlächter, perverse Sadisten, wenn wir in ihnen ein Stückchen Menschlichkeit erkennen, Sanftheit und Ohnmacht, das ist der Horror.“

„Sonnenschein“ (Übersetzung: Brigitte Döbert und Blanka Stipetić) der 1946 in Zagreb geborenen Autorin Daša Drndić handelt von Horror, nicht endend wollendem Horror. Nachdem ich vor vielen Jahren Pasolinis „Salò oder die 120 Tage von Sodom“ im Kino gesehen hatte, war ich mir sicher, dem ultimativen Horror begegnet zu sein. Aber es hört nicht auf. Ich habe das Gefühl, immer noch am Anfang zu sein und mich doch gleichzeitig seit mehr als 35 Jahren im Kreis zu drehen.

Der Roman, der ein Ineinanderfließen und Aufeinanderprallen von Fiktion und Fakten ist, große Teile kann man als Sachbuch lesen, dieser Roman versammelt sehr viele Details über Nationalsozialismus und Faschismus, die ich seit meiner Zeit als Schüler ab dem Alter von 14 Jahren gesammelt habe. Und mit dem Roman kehre ich zu diesen Anfängen zurück.

Der Anfang, das war ein Lehrer, der uns schockte mit einem Ausruf, es war ein Auswurf. Er kotzte uns hin: „Heinrich Himmler, das Schwein!“ Der Anfang war Celans „Todesfuge“, der Anfang war der Gerstein-Bericht mit der falsch gelegten Spur über eine Person aus meiner Heimatstadt, „SS-Hauptsturmführer Obermeyer (aus Pirmasens)“.

Später haben Historiker richtig gestellt, dass es sich bei dieser Person um Josef Oberhauser, Schankkellner aus München handelte. Claude Lanzmann hat ihn für seinen Film „Shoah“ mit Fragen konfrontiert. Die Szene hat sich mir eingebrannt. Ungerührt von den Fragen schenkt er Bier aus, abgeschirmt von zwei Kellnerinnen, deren weißen Schürzenbänder sich auf dem Rücken kreuzen und in meiner Phantasie zu Hakenkreuzen werden.

Was mir nicht im Bewusstsein war: ein großer Teil des SS-Personals der Aktion Reinhardt aus den Vernichtungslagern Treblinka, Sobibor, Bełzec kommt in die Gegend um Triest, die Operationszone Adriatisches Küstenland, und mordet dort weiter in der Reismühle San Sabba und an anderen Orten. Wenn gerade nicht gemordert wird, wird gehurt und geprasst.

Und so zieht das Horrorkabinett aus Lanzmanns „Shoah“ weiter und begegnet mir in Drndićs „Sonnenschein“ wieder, unter ihnen Kurt Franz, dessen Hund Barry es liebte, in den Vernichtungslagern willkürlich oder auf Befehl seines Herrn Menschen anzufallen, zu zerfleischen, Männern die Geschlechtsteile abzubeißen.

Kurt Franz wird zu einer Hauptfigur im fiktiven, erzählerischen Teil des Buchs. Er geht eine Beziehung mit der Jüdin Haya Tedeschi ein, ein Sohn wird geboren, wenig später der Mutter geraubt und in ein Lebensborn-Heim verschleppt.

„Sie wartet seit zweiundsechzig Jahren.“ So beginnt der Roman. Und er endet, kurz bevor sich Mutter und Sohn in Gorizia wieder begegnen als völlig fremde Menschen, ihres Lebens beraubt.

Daša Drndić hat auf der Leipziger Buchmesse 2015 in einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem slowenischen Autor Dušan Šarotar ein leidenschaftliches Plädoyer gegen das Vergessen gehalten.