Jean Portante: „Die Arbeit des Schattens“

jeanportante_diearbeitdesschattens

Auf dem 8. Europäischen Poesiefestival in Frankfurt am Main durfte ich Jean Portante aus Paris kennenlernen. Er gab mir seinen Gedichtband „Die Arbeit des Schattens„, übertragen von Odile Kennel aus dem Jahr 2005 in der luxemburgischen Editions PHI (Original: „Point“, 1999).

Jean ist in Luxemburg aufgewachsen als Sohn italienischer Einwanderer aus den Abruzzen. Er spricht mehrere Sprachen, ohne eine Sprache als seine Muttersprache auszuweisen. Seine Mehrsprachigkeit macht ihn zum Kosmopolit und Übersetzer aus mehreren Sprachen ins Französische, die Sprache, in der er sein umfangreiches Werk schreibt, Als Beispiel für seine Übersetzungen möchte ich den letztes Jahr verstorbenen Autor Juan Gelman nennen (dessen Werk „So arbeitet die Hoffnung. Lyrik des argentinischen Widerstands“ in meinem Regal steht).

Die zweite Strophe des ersten Textes gibt dem Lyrikband den deutschen Titel.

kennst du die Arbeit des Schattens um
unsere Augen herum und alles was
unbemerkt vorübergeht wenn wir plötzlich
die Stunde berühren die fällt

Was hat es sich mit dem Schatten auf sich? Welches Wechselspiel verbindet Jean mit Licht und Schatten? Steht es für Helligkeit und Dunkelheit? Jedenfalls:

die Dunkelheit ist ein Held
galoppiert ins Vergessen

In seinem lyrischen Kosmos geht es um Wahrnehmung sowie Speichern, Erinnern und Vergessen, Löschen. Der Schatten scheint die Wahrnehmung der Augen zu stören. Ist es der Schatten der Vergangenheit?

Ich bin nicht stehengeblieben unter diesem Baum
ich habe nichts woran ich mich erinnern könnte    wenn ich
den Schatten fliehe den er wirft so heißt das
nicht dass er es ist den ich fürchte

Wie kann man dem Schatten entfliehen? Ohne Gegenwart keine vergangenen Schmerzen. Ohne Vergangenheit keine schmerzende Gegenwart.

und dass die Sonne wie ein Messer sticht ist nebensächlich

Und doch:

Die Hoffnung auf einen verfrühten Sonnenaufgang
hat mich hierher geführt und ich wollte auch sehen
ob man sich wirklich dem Tod nähert wenn man
so hoch steigt

Die geträumten Begegnungen mit dem Vater, die sich kreuzenden Wege: die Stummheit, diese Auswegslosigkeit nicht gesprochener Sprache, sie verbindet uns über Generationen. Sie ist der Kitt, der bereits rissig ist, schließlich bröckelt. Kindliche Finger legen den Falz frei, darin die Zärtlichkeit und die Zweifel.