Angelika Overath: „Schwarzhandel mit dem Himmel | Marchà nair cul azur“

Schleichhändlerin

Gleich zweimal bezichtigt sich die Deutsch-Schweizer Schriftstellerin Angelika Overath (* 1957 in Karlsruhe) in ihrem kurzen Vorwort zum Gedichtband Schwarzhandel mit dem Himmel | Marchà nair cul azur des Schmuggels, also der rechtswidrigen Verbringung von Waren oder Personen über eine Grenze.

Welche Grenze wird überschritten? Welche Ware geschmuggelt?

Die Autorin, die seit 2007 in Sent, Unterengadin, Schweiz lebt, hat sich selbst in den kleinen Sprachraum des Rumantsch (Rätoromanischen), genauer gesagt: ins Idiom des Vallader, eingeschleust.

Wenn sie schreibt

Tü est tia lingua – Du bist deine Sprache

wird deutlich, dass das Überwinden einer Sprachgrenze sehr eng mit dem Ringen um eine andere, neue Identität verbunden ist. Overath spricht also von Menschenschmuggel, ist Schleuserin und Flüchtige in einer Person.

Was bedeutet es für eine Schriftstellerin, sich einen neuen Sprachraum zu erschließen? Warum verharrt sie nicht in ihrer Heimat, in ihrem angestammten Ausdrucksvermögen? Besteht die Gefahr, die Muttersprache zu verlieren? Und besteht die Gefahr, an der neuen Sprache zu scheitern? Es sind dies existenzielle Fragen, die sich die Schriftstellerin stellen mag, aber die niemand  zu kommentieren hat. Wir als Lesende des Bandes können jedoch einige der Antworten, die sie sich durch die Gedichte erarbeitet hat, erfahren. Und aus dieser individuellen Erfahrung einen universellen Code ableiten, wenn es uns dazu drängt.

Ich tat mich schwer. Ich fand die Sprache so schön, dass ich immer schöne Sätze sagen wollte; das ist ein sicherer Weg, eine Sprache nicht zu lernen.

Der zweite Schmuggel, den Overath begeht, dient zur Beantwortung der zuvor aufgeworfenen Fragen. In dem zweisprachigen Vallader-Deutschen Band fügt sie mit den Instanbuler Elegien dreizehn nur auf Deutsch verfasste Gedichte ein. Und führt damit den Nachweis: Das Sprachmaterial ist komplexer, wenn sie sich ohne Gedanken an einen Geschwistertext in Rumantsch nur in ihrer Muttersprache bewegt. Die erste Sprache verliert sich nicht durch die Hinzunahme einer weiteren Sprache. Aber wie das Bewegen über die Sprachgrenze konkret aussieht, das erlaubt uns Overath nachzuvollziehen.

Eu n’ha cumanzà
a dir
quai ch’eu sa dir

Ich habe begonnen,
das zu sagen,
was ich sagen kann

In der eingeschränkten Ausdrucksmöglichkeit der Noch-Fremden, der Noch-Nicht-Heimischen liegt eine Chance, die sich nur denjenigen bietet, die nicht selbstverständlich mit den Worten spielen, sondern abwägen müssen zwischen Ausdruckswillen und Sprachvermögen.

Tanter amarellas ed amarellas

Eu n’ha jent
quista lingua
ch’eu discuor mal.

Eu am svarguogn.
Eu scriv
da nouv.

E nu s’esa adüna
ün amatur
ill’amur?

Liederliche Lieder

Ich liebe diese Sprache,
die ich schlecht spreche.

Ich schäme mich.
Ich schreibe
nochmal.

Und bleibt man
in der Liebe
nicht immer
ein Laie?

Die Schmugglerin nimmt sich Freiheiten bei der Übertragung ihrer Gedichte. Dominiert in der Vallader-Fassung das A [amarella (= Goldammer, Sauerkirsche) amatur, amur], wird in der deutschen Übertragung dem L die Hauptrolle zugeschrieben [Liederliche Lieder, Liebe, Laie [statt: Amateur].

Manches, was im Vallader gut klang, funktionierte im Deutschen nicht. Da ich die Autorin in beiden Sprachen war, durfte ich variieren, ja »fälschen«.

Overath sucht nach Kraftorten.

As laschar increscher

Ingio naiva mia naiv?
Ingio fluischa meis flüm?
Ingio spettan mias muntognas
per adüna?

Ingio
cresch eu
hoz?

Sich sehnen

Wo schneit mein Schnee?
Wo fließt mein Fluß?
Wo warten meine Berge
für immer?

Wo
wachse ich
heute?

Vielleicht ist es eine Grenzüberschreitung, die Antwort auf diese Fragen bei Luisa Famos (1930-1974) zu finden.

Aint in las muntognas
Sun naschüda
Eu saint la naiv
in mi’orma
Aint in mi’orma
Es il vent
Chi fa inglatschar
Las naivadas
Il sulai chi arda
E transmüda in sbrinzlas
Da fö.

In den Bergen
Kam ich zur Welt
Ich spüre Schnee
In meiner Seele
Tief in meiner Seele
Ist Wind
Er lässt den grossen Schnee
Erstarren
Die brennende Sonne
Schlägt feurige
Funken.

(in: Luisa Famos: eu sun la randolina d’ünsacura | ich bin die Schwalbe von einst, Limmat Verlag, Zürich 2004, 2010)

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Angelika Overath im Gespräch mit SWR2 Literaturredakteurin Katharina Borchardt

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Weitere zweisprachige Gedichtbände:

Angelika Overath: Poesias dals prüms pleds, 33 romanische Gedichte und ihre Annäherung, btb 2017
Angelika Overath: Corniglas | Alpendohlen. Mit Illustrationen von Madlaina Janett, SJW Nr. 2543, Schweizerisches Jugendschriftenwerk 2017