Werner Dürrson: „Das Kattenhorner Schweigen“

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In the End

The apples remained hanging
on leafless trees or they
lay in the grass every one of them.

For the time being snow
will tend the fields. Over blurred lines
perhaps a deer’s footprint or traces
of crow’s wings.

(Übertragung ins Englische: Michael Hamburger)

Vor über 30 Jahren träumte ich davon, mein Deutsch-Abitur über zeitgenössische deutsche Lyrik verfassen zu dürfen. Hingegen war mein Interesse an anderen Sprachen mehr oder weniger nicht vorhanden und kein Thema meiner Reifeprüfung. 1984, in dem Jahr also, in dem ich mich an einem Gedichtvergleich abarbeitete, wenn auch nicht zeitgenössische Lyrik, sondern Klassik und Expressionismus, erschien „Das Kattenhorner Schweigen“ von Werner Dürrson. Ich weiß nicht, ob ich damals mit den Gedichten über die Landschaft des Bodensees etwas hätte anfangen können.

Heute schreibe ich darüber, ohne benotet zu werden. Und wortlos schüttele ich den Kopf über meine eigene Langsamkeit, meine Verspätung, im Leben dort anzukommen, wohin ich gehöre. Und freue mich unbändig.

Werner Dürrson (1932 – 2008) lebte an verschiedenen Orten in Süddeutschland und Frankreich. Nach seiner Rückkehr aus Frankreich zog er nach Kattenhorn am Untersee auf der Höri. Dort entstand das dem Umfang nach schmale Gedichtband, das eine Region im Wandel zeigt.

Die Kulturlandschaft der Streuobstwiesen, die bis ans Seeufer reichte, verschwindet zunehmend hinter Grundstücksgrenzen.

Eingeklemmt in das System
verkaufter Landschaft bleibt mir

der See noch, geh ich auf vor-
geschriebenem Weg von

Schildern belauert hangabwärts […]

(aus: Ins Freie)

Dürrson zeigt, es bleibt nicht bei der Umverteilung in Privatbesitztum, mit ihr geht der Verlust eines kollektiven Gedächtnisses einher. Das Einigeln hat Methode.

Schlaf Kindlein schlaf
singt die Mutter im
Garten zum klickenden
Takt der Schere mit
der sie den Busch kürzt.

[…]

(Oder wie damals drüben die
Synagoge in Flammen stand
obwohl das niemand getan hat und
die Feuerwehr kam weil die
glaubte es brenne richtig)

(aus: Randerscheinungen)

Dürrson sucht das Unbequeme, legt Finger in Wunden, er eckt an in der Nachbarschaft. Er sieht sich als weißen Neger, eine Referenz an den Südafrikaner Breyten Breytenbach (The True Confessions of an Albino Terrorist, 1984).

Dürrsons Gedichte geben präzise und mit sparsamen Worten Auskunft über Verlust und dem Wiederaufleben von Hoffnung, sie sprechen von Liebe zu Menschen, zur Natur. Sie lassen Raum für eigene Bilder, sind eben nicht eine Ansammlung lyrischer Bauschilder (Hier entsteht ein modernes 3-strophiges Gedicht, Bauherr: Dürrson, Kattenhorn), sondern das Schlendern durch die Streuobstwiese, dieses Eintauchen in den Schatten, das Spiel des Windes mit den Blättern, die Kraft der Sonne.

Und was bleibt, wenn der Sommer nur noch ferne Erinnerung, der Herbst bereits abgeerntet?

Zuletzt

blieben die Äpfel an
blattlosen Bäumen hängen oder sie
lagen vollzählig im Gras.

Fürs erste wird Schnee die
Äcker bestellen. Über verwischte Zeilen
vielleicht eine Rehspur oder Striche
von Krähenflügeln