Uroš Prah: „Erdfall“

Bernsteinstämme

Der slowenische Dichter Uroš Prah (* 1988 in Trate) seziert unseren Planeten als urqueeren Unort, während die Mehrheitsgesellschaft ihn als unqueeren Urort (der der Ausbeutung dient) versteht. Ein kleiner Buchstabendreher, der uns den Zugang zu Nischen erlaubt, jene der Lyrik, jene der „displaced persons“, derjenigen, die, aus welchen Gründen auch immer, keine Heimat finden oder sie verloren haben.

Kontinente sind Körper. Ihre Drift ist Körperlichkeit, Begehren, Sex.

Wo sich der Subkontinent
in den Kontinent bohrt
vom schroffen Gestein
ein Körperknöpfchen
ein weicher Tropfen fällt.

Im Lyrikband Erdfall findet sich eine Auswahl aus den drei bisherigen Gedichtsveröffentlichungen Prahs in slowenischer Sprache (Čezse polzeči, 2012, Tišima, 2015 und Udor, 2019). Die Übersetzungsarbeit leistete Daniela Kocmut im engen Austausch mit dem Poeten, der an der slowenisch-österreichischen Grenze aufgewachsen ist und Deutsch nicht als Fremdsprache versteht.

Im Gespräch mit Tino Schlench bezeichnet Prah Deutsch als Zwischenraum. Räume zu schaffen, Räume zu entdecken, es ist das, was den Slowenen anzieht, was ihn zu Erkundungen aufbrechen lässt.

In den Städten trägt es
mich oft an grüne wildest mögliche
Flecken irgendwo
im Schilf denke ich
an die umarmte Nacht
in der wir beide vor allem deine
harte Woche ausschliefen
und du mir am Morgen einen
geblasen hast: […]

Die Nischen, die Zwischenräume, sie lassen keine Pornografie, keine Zur-Schaustellung, kein Herausstülpen zu. Sie sind Orte des Selbstverständlichen, des Begehrens, das einer Erwähnung weiter nicht wert ist.

Bescheidenheit von Minderheiten

Für sich beanspruchen sie nur sehr wenig Platz
dem Lärm der Wortfülle setzen sie
ein wahrhaftigeres Dröhnen entgegen –
die gewaltige Dichte des beruhigten Wortes
das surrt.

Was macht diese Surren aus? Die Übersetzerin gibt im Anhang zur Spracharbeit Prahs wertvolle Hinweise, nennt Präzision und Verknappung, Sprachspiel und Wortneuschöpfungen.

Körper ist ein Wort
Körper ist ein Wort
Körper ist ein Wort

Das ist keine simple Reduplikation, das ist ein Manifest.

Angesichts der Tatsache, dass die Erde jederzeit einstürzen, ein Loch sich in der Erde auftun kann (Erdfall ist ja außer poetischer Klang vor allem ein Fachbegriff der Geowissenschaft, auch: Sackungsdoline [Wer kann, genieße die Musikalität dieses Wortes und ihre sexuelle Konnotation]), behält Prah seinen Herkunftsort am Grenzfluss Mur im Auge.

Freiheit inmitten dieses mäßigen Verfalls
eine Erwartung vielleicht dass all die
nun angekündigte Vernichtung auch so wird
Bier an der Grenze die Unbeherrschbarheit
des eigenen Nachmittags
über der Wucht des Flusses
eine beharrliche Enthaltsamkeit
des Enttäuschtseins
dieser unentwegte Durchfluss
eine Unstimmigkeit

Der Rand, kein Raum, sondern nur eine Begrenzung, die den dahinter- davorstehenden Raum weitet oder verengt, das Leben zulässt oder beendet.

Das Haus schafften
wir ans andere Dorfende

mit dem Kopf im Fluss
schlafe ich nun
in der Stadt

es umspült mich
der Rand kehrt zurück.

 

Wir leeren die Gräber
heben die Eltern aus
betten sie ins Innere um
Inneres wird wieder zum Rand
der Rand aber ist gar nichts
der Rand ist schon Schlick
hunderte Meilen entfernt.

Wenn Lyrik die schönste Zeitverschwendung ist, das wurde auf der Frankfurter Buchmesse 2023 (Guest of Honour: Slovenia) mehrfach kolportiert, dann lohnt es sich, schon eine einzelne Zeile auf sich wirken zu lassen.

Was bedeutet es, wenn in einer Welt, in der Minderheiten immer weiter marginalisieren werden, der Rand zurückkehrt? Ins Zentrum rückt?
Könnten wir so noch zu retten sein?

Ich bin nicht das was hier steht
sondern wohin es führt.

*

Am Morgen nach Prahs Lesung denke ich zurück an Pasolinis nachgelassenen Roman Petrolio, an die Freiheit, die offen gelassene Räume ankommenden Spezies anbieten.

Ich bin fasziniert von den unbekannten Kräften, die mich über das Feld der Buchmesse so lenken, ein Bär, der den Geruch des Honigs in den Waben an jedem Ort der Welt erkennt?, dass ich einen mir unbekannten Poeten [Die deutschsprachige Lyrikszene ist weit umfangreicher als manche Blasen vortäuschen] treffe und zulasse, dass sein Wort, sein Körper mich durchdringt.

Ich bin fasziniert von der Buchmesse als Cruising-Area.

Ich bin fasziniert von den mehrfach abgesicherten Codes, die Heimat anbieten und doch, wie Prah im genannten Interview sagt, durchtränkt sind vom urqueeren Lebensgefühl: der Dualität von Glück und Gefahr.