Umbra, Cenușa | Schatten, Asche
Beide Worte verweisen auf die Vergänglichkeit (des eigenen Seins) und die Vergangenheit (als Lebensgeschichte der Vorfahren), auch wenn sie gelegentlich im gegenständlichen Sinn gemeint sind: Häuserschatten oder Asche, die von einer Zigarette abfällt (hier: scrumul = Die Asche)
Stă în umbra mea cel a cărui umbră sînt eu.
In meinem Schatten steht der dessen Schatten ich bin.
(aus: Arlechini la marginea cîmpului | Harlekine am Rand des Feldes)
Liniștit creștea cenușa…
Sacht vermehrte sich die Asche …
(aus: Poem pentru absență | Gedicht für die Abwesenheit)
Mit Vulturii orbi | Die blinden Adler erreichen uns Gedichte des rumänischen Dichters Nichita Danilov (* 1952 in Climăuți) in der Übersetzung von Jan Koneffke (* 1960 in Darmstadt) in einer wohlgestalteten zweisprachigen Ausgabe.
Es ist der erste bilinguale, rumänisch-deutsche Gedichtsband, der in meinem Bücherregal stehen wird. In den vier anderen Bänden, die mir zu eigen sind, wurde auf die rumänische Fassung verzichtet: Black Box von Gellu Naum in der Übersetzung von Oskar Pastior und Georg Aescht | Die 53. Woche von Traian Pop Traian in der Übersetzung von Gerhardt Csejka, Horst Fassel, Edith Konradt, Johann Lippet und Dieter Schlesak | Der Norden von Ioana Nicolaie in der Übersetzung von Eva Ruth Wemme | In der Psychiatrie behandelt von Gelu Vlașin in der Übersetzung von Kerstin Ahlers.
Danilov ist ein Dichter, der am Rand des Feldes steht, wenngleich er heute zu den wichtigsten zeitgenössischen Lyrikern seines Landes zählt. Geboren im südlichen, rumänischen Teil der Bukowina, hatte er die heute ukrainische, damals sowjetrussische Grenze in seiner Kinder- und Jugendzeit in Sichtweite.
Seine Vorfahren stammen aus dem nördlichen Teil. Danilovs Großeltern flohen aus Angst vor Deportationen, nachdem Stalins Truppen im Sommer 1940 die Nord-Bukowina besetzt hatten.
Danilovs Familie sind Lipowaner, altgläubige orthodoxe Christen aus Russland, ihre Sprache ist ein archaisches Russisch.
Soweit einige Hinweise aus den Erläuterungen Koneffkes im Nachwort | Essay, die uns den Dichter und seine dörflich geprägte Umwelt, seine religiöse Verwurzelung nahe bringen.
Sich bewusst zu machen, dass man am Rand des Feldes steht, bedeutet, eine genaue Verortung vorgenommen zu haben. Wer im Zentrum steht, kennt seine Begrenzung nicht, wähnt sich unermesslich.
„Herrschen wirst du“, sprach er da,
„über diese unendliche Gegend,
über dieses sich weithin erstreckende Land.
Dein Arm wird aus Eisen sein,
aus Eisen wird sein dein Wille.
Gerechte Gesetze.“
(aus: Die blinden Adler)
Respektlos und ironisierend hinterfragt Danilov die weltlichen Herrscher.
Haben nicht etwa auch Sie,
fragte ich den Präsidenten,
so wie der junge Stalin
zwei durch ein dünnes Entenhäutchen
zusammengewachsene Zehen am linken Fuß,
der manchem als Zeichen
des Antichrist gilt?
(aus: Der Präsident)
Nicht Väterchen Stalin, sondern Gott, dem Vater, allein gelten diese Zeilen:
Vater des Lichts und Vater der Finsternis
Vater des Darunter und Vater des Darüber
Vater des Nichts
Und Vater von Allem!
……………………………….
… Allein im Angesicht der Nacht
entsetzlich allein
werden wir weder geboren noch sterben wir!
(aus: Anrufung)
Die Asche, sie bleibt übrig, wenn das Feuer der Liebe erlischt.
Ich würfele auf dem Körper einer Frau
und verliere. Und so bedeckt sich ihr Körper
allmählich mit Asche.
Sie schaut mich an und weint.
(aus: Feld aus Asche)
Später leckt sie aus den Urnen der Verstorbenen.
Ich spreche in meinem Namen,
als spräche ich im Namen des Staubs auf den Straßen
oder der Asche, die aus Urnen rieselt.
(aus: Ich)
Was aber bedeutet es, für die Toten zu sprechen? Danilov übernimmt die Verantwortung für seine Vorfahren und für das Stück Erde, das er bewohnt und, manchmal unbewusst, beackert. Er schweigt, die Körper, die Landschaften sprechen.
daher werden sich, wenn ich schweige,
in meinem Körper unzählige Münder öffnen,
die mich mit Haut und Haar zu verschlucken versuchen,
während sie mich in das Netz unsichtbarer Worte spinnen;
(aus: Ich)
Unbemerkt von den Augen des Dichters
malt seine Hand eine Landschaft aus Weizen und Mohn.
Schwarze Lilien wie brennende Kerzen
stickiger Rauch steigt im Weizenfeld auf: Schweig,
schweig, Seele, schweig!
(aus: Nächtliche Landschaft)
Und da hob das Schweigen sein Antlitz und sprach.
Große Schweißperlen,
mit Stille vermischt, traten auf die
vom Mondlicht gebleichten Schläfen
und tropften ins Dunkel. Wir streckten die Hände
seinem Antlitz entgegen und füllten die Teller
mit Schatten, dann hoben wir sie zum Himmel,
getränkt von der nächtlichen Ruhe, und riefen.
Es antwortete niemand, nicht einmal das Echo.
(aus: Schweigen)
Danilovs Lyrik, so wie wir sie aus dieser Auswahl kennenlernen, ist vielstimmig. Dort die historischen Dimensionen aufzeigend, den Despotismus mit der Waffe des Witzes, der Ironie bekämpfend, sich der eigenen Verluste stellend, dann auch spielerisch auf eine Kinderstimme, eine Kindererinnerung zurückgreifend.
Ich füttere das Fahrrad mit einem Arm voll Heu,
stecke ihm die Trense ins Maul,
führ es am Strick zum Teich, um es zu waschen,
hänge einen Sack mit Hafer an seine Hörner,
[…]
… So spielte ich in der Kindheit
Hoppe Reiter und Hoppe Rad,
so spiele ich, manchmal, noch immer.
(aus: Das Fahrrad)
Und also ist Lyrik, das zeigt uns Danilov, einmal mehr auch ein Beleg dafür, wie das Spiel mit Sprache in früher Kindheit, als Abzählreim, als Finger- oder als Kniereiterspiel uns alle lebenslang prägt und unsere Phantasie nährt.