Regengeruch
Petrichor ist ein Debüt der Bremer Künstlerin Inga Krause. Sie bringt uns Stadt mit ihrer Vielfalt an Gebäuden, Fahrzeugen, Menschen und Tieren in ihrem ersten Silent Book nahe. Sie lässt sozusagen ihre großformatigen Arbeiten (Haus- und Fassadengestaltung) in ein kleines, handliches Format fließen.
Lediglich drei Absätze stellt die Autorin/Illustratorin ihrem Werk voran. Wir erfahren, dass der Protagonist des Buches Isaak heißt und uns auf eine Entdeckungsreise durch die Stadt mitnehmen wird. Er schwingt sich auf sein Fahrrad …
… und kommt in den Regen. Dabei entdeckt er den titelgebenden Geruch.
Was es mit Petrichor auf sich hat, habe ich in der Besprechung von Lote Vilma Vītiņas Der kleine Dichter und der Duft beschrieben.
Welcher Art ist aber diese Stadt, durch die Isaak radelt? Sie ist bunt, vielfältig, aus verschiedensten Materialien, mit vollgestopften Straßen. Sagen wir: eine moderne Großstadt, in der es durchaus stressig sein kann, sich mit dem Fahrrad vorwärts zu bewegen. Es ist aber auf gleiche Weise eine kunsthistorische Stadt, die mit ihrer Dominanz der Grundfarben an Gemälde von Piet Mondrian denken lässt oder an das Bauhaus in Weimar, Dessau und Berlin. Manche der Fußgänger auf den Gehwegen erinnern mit ihren geometrischen Umrissen an Figuren des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer.
Es gibt viel zu entdecken. Und doch ist das kein Wimmelbuch, wie man sie von Illustratoren wie Ali Mitgutsch kennt. Bei ihm interessiert vorrangig das Nebeneinander der Vielfalt, bei Krause ist es die Lösung einer gestalterischen Aufgabe, die mit jeder Doppelseite neu beginnt. Wie sitzen die Flächen? Wo bilden sich Schnittpunkte, wo Freiräume? Welche Linie (diagonal, horizontal, vertikal) führt zu einem Schwerpunkt? Welches Verhältnis haben die unterschiedlichen Texturen zueinander (monochrome Fassadenflächen, linierte, kartierte oder die Kringel für die lästigen Abgase der Verbrennermotoren).
Man kann Isaaks Fahrradtour durchaus als Zivilisationskritik lesen. Ja, die Stadt ist bunt, aber auch laut, überflutet von visuellen Reizen und Abgasen. Der einsetzende Regen (Bindfäden!) macht dem Treiben ein Ende. Die Stadt trübt sich ein, wie auch das Gemüt ihrer Bewohner*innen. Schlecht gelaunt stellen sie sich unter und halten inne, bilden eine Schicksalsgemeinschaft …
… und entdecken den Geruch, den man Petrichor nennt.
Nach dem Wolkenbruch erscheint die Stadt wie gereinigt. Es ist weniger Verkehr auf den Straßen. Isaaks Weg führt in Parks, näher an die Natur heran. Mit der Sonne kommen die Farben wieder. Sie erscheinen brillanter. Die Luft ist gereinigt und die Vögel sind gut hörbar. Isaak sieht auf den Gesichter der Menschen ein feines Lächeln. Er ist zufrieden mit sich und der Welt.