Seiner Herkunft und seines Könnens ist sich Andreas Neeser selbstgewiss. Die Sprache der Gedichte in seiner neuesten Veröffentlichung „Wie halten die Fische die Luft an“ ist knapp und reich. Ein Reichtum, der den Weißraum des leeren Blattes im richtigen Maß füllt, mit Worten, die nicht zweifeln, nicht suchen, sondern sich bereits gefunden haben. Einfach gesagt: Das ist Souveränität! Das ist Meisterschaft!
Neesers Gedichte sind preisgekrönt (beim Lyrikpreis Meran 2006 und beim Feldkircher Lyrikpreis 2008). Das trägt sicher dazu bei, Zweifel beiseite zu schieben und nicht aus Unsicherheit in eine falsche Beredsamheit, Vielwortigkeit einzufallen.
[…]
als wär es ein Kinderspiel
worten wir aus
ohne Komma und Punkt.
(aus: Frühe Stunde)
Neeser schreibt aus dem Jetzt eines Erwachsenen. Er erinnert sich an Kinderspiele, aber seine Arbeit am Wort ist von strenger Disziplin. Es fällt schwer, seine Wortsetzungen aufzuhebeln, um in ihnen das Spiel, den Zufall, das Absichtslose zu suchen. Die Selbstverständlichkeit der Gedichte ist kein leichter Wurf, sondern das schöne Ergebnis einer rigorosen Arbeit.
Der Band ist in drei Abschnitte aufgeteilt: Aus den Halden der Nacht und Lichtwuchs verklammern den zweiten und längsten Abschnitt Schichten von Haut. Hier ist die Arbeitsweise eine andere als in den beiden Teilen, die kurze, in sich abgeschlossene Gedichte beinhalten.
Schichten von Haut arbeitet seitenübergreifend, legt Schicht um Schicht frei. Autobiografisches Material wird in die Nähe des Märchenhaften gerückt. Und doch nicht zur Deckung gebracht. Die Prinzessin und der Froschkönig sind Vorlage, mit der sich Neesers Erinnerungen auffangen lassen. Und doch bewahren sie ihre Autonomie, ihre Originalität: im Mundgeruch der Großmutter, in der Bestrafung durch die Mutter, in der Frage nach dem Vater.
Jeweils in grau und auf Abstand gesetzt am Ende des Textteils zwei, drei Worte, die den Anfang des nächsten Teils auf einem neuen Blatt, einer neuen Schicht vorwegnehmen. Durch diesen Trick gelingt mehrerlei. Der Textfluss bleibt erhalten, das Umblättern kann ihn nicht stören. Und, vielleicht noch bedeutender, in einem Medium, das auf Schwarz und Weiß aufbaut, es kommen Zwischentöne ins Spiel. Das ist schön. So wird jede Seite zu einem Schneefeld, aus dem sparsam schwarze Gegenstände aufragen, aber eben auch die Schattierungen wie graublaues Fell ihren Platz finden.
Überhaupt der Schnee! Neeser zeigt seine Affinität zur kalten Jahreszeit, in der er geboren wurde, in wunderbaren Versen. Für mich ist deswegen das Motiv des Covers überraschend. Ich assoziiere damit trotz der eher kühlen Farbigkeit Sommer und finde die dazugehörige Textstelle.
, die Sonne wirft Funken,
der Glitzer, der Glimmer, wir sprühen und glühen wie
früher | flussabwärts | verlieren wir hautnah die
Füße | im Spiel | fehlt der Liebe der Boden, und alles
geht | wie von allein | treibts uns weiter, hinein in die
Strudel […]
(aus: Die Strömung wird stärker)
Offenbar hat sich das Winterkind Neeser schon häufig mit Schnee auseinandergesetzt. Genug davon hat er noch nicht. Ja, er treibt das Wort vor sich her und findet unbekannte Wege, hinterlässt erneut seine Spuren auf der weißen Fläche.
[…]
wenns einmal
noch schneite | zum letzten Mal | schneit es uns ein | am
Punkt null | wird es unwirklich wärmer, ich lasse mich
fallen, und frei wie das uralte Kind schreib ich rücklings
mit Armen und Beinen den Engel, ich fliege, verschreib
dir von Grund auf die Liebe | als wäre noch etwas
zu sagen | erlesen wir Seite an Seite den Sommer im
tiefweißen Bett.
(aus: Und wäre noch etwas zu sagen von Schnee)