Moya Cannon: „Keats Lives“ und „Hands“

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Moya Cannon, 1956 im County Donegal, Irland geboren, lebt in Dublin und hat bislang fünf Gedichtbände veröffentlicht. Oar (Salmon Publishing, Knockeven 1990, überarbeitete Fassung: The Gallery Press, Loughcrew 2000), The Parchment Boat (The Gallery Press, Loughcrew 1997), Carrying the Songs (Carcanet, Manchester 2007, beinhaltet eine Auswahl aus „Oar“ und „The Parchment Boat“), Hands (Carcanet, Manchester 2011) und, gerade erschienen, Keats Lives (Carcanet, Manchester 2015).

Ich bin überzeugt, mit dieser Lyrik eine große europäische Stimme zu hören. Was zeichnet diese Lyrik aus?

Moya Cannon schreibt eine leise, unaufdringliche und doch in höchstem Maße eindringliche Lyrik. Sie begibt sich viel in die Natur und beobachtet sie, stets auf der Suche, den Menschen, seine Entwicklungsstadien von Geburt bis zum Tod, einzuordnen in eine Gesamtheit des Lebens. Dabei sind ihr Napfschnecken, Seeigel, Muscheln und andere Meereslebewesen willkommene Untersuchungsgegenstände. Auch Zugvögel in ihrem Rhythmus von Nisten und Reisen ziehen durch ihr Werk. Trauer und Lebensfreude finden ihren gleichberechtigten Platz. Ihre Zuwendung zu den Menschen ist voller Empathie.

Ich will das an den Gedichten verdeutlichen, die den beiden letzten Gedichtbänden den Titel gaben.

Hands ist eine Reflexion über das Urvertrauen, das das Neugeborene der Mutter entgegenbringt, ein Vertrauen, das scheinbar im Laufe des Lebens verloren geht. Doch hoch über dem Atlantik, wird Cannon bewusst, wie sehr sie abhängig ist von den Händen des Piloten, der das Flugzeug steuert.

Das Gedicht ist ins Irish Poetry Reading Archive aufgenommen, zu hören und zu sehen im University College Dublin – National University of Ireland (UCD) Library Special Collections Reading Room auf youtube.

In Keats Lives on the Amtrak begegnet das lyrische Ich während einer Zugfahrt durch Amerika einem Schaffner, der sich als Anhänger von John Keats (1795-1821) offenbart.

[…]
He leaned forward, smiled, and said,
‚I’m going to get a t-shirt with
Keats Lives on it. This time of year,‘ –
he gestured towards the window,
trees were blurring into bud –
‚when everything starts coming green again,
I always think of him…
A thing of beauty is a joy forever,
Its loveliness increases, it will never
Pass into nothingness; but still will keep
A bower quiet for us…‘
[…]

Dem Gedichtband den verkürzten Titel Keats Lives zu geben, weist über die Begegnung zweier Menschen hinaus und spricht von der Bedeutung  John Keats und der englischen Romantik für die Autorin und die englischsprachige Leserschaft.

Über die Romantik in der englischen Literatur lese ich auf wikipedia: „Der Dichter trägt seine persönlichen Gefühle in die Natur, wo er Trost sucht, in Abgeschiedenheit introspektiven Reflexionen nachgeht und seine subjektiven Empfindungen in der Natur selbst widergespiegelt sieht.“

Finden wir im Band Hands in dem Gedicht Death diesen zarten Abschied von der geliebten Mutter…

[…]
We, her greying brood, have arrived
in cars, by train, by plane.
Her room is full of stifled mobile phones.

Death’s is a private country,
like love’s.

… berührt uns im Band Keats Lives das Gedicht I wanted to show my mother the mountains.

the Bauges in deep snow,
pink in the evening light.
Why did I want to show her mountains
five years after she was dead?
[…]