Abbas Kiarostami: „Stille und bewegte Bilder“

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Lyrik des Schnees

Die Serie Snow White (1978-2004) des iranischen Filmemachers, Fotografen und Poeten Abbas Kiarostami (* 1940) gehört zu den aufregendsten Fotoserien, die ich kenne. Leider hatte ich die Ausstellung der Werke 2013 in Wiesbaden verpasst und damit die Gelegenheit, diese wunderbaren Arbeiten großformatig auf mich wirken zu lassen. Es blieb mir nur, den dazugehörigen Kunstband Stille und bewegte Bilder – Images, Still and Moving zu erwerben. Auch die zweite, dort abgebildete Serie Rain and Wind (2006-2007) bewegt mich sehr.

Wer mir erzählen möchte, er sei kein Freund von Grautönen, der kann die Fotografien Kiarostamis nehmen, um sich zu therapieren. Wer dann immer noch nur schwarz und weiß sehen will, nicht diese Vielzahl der Zwischentöne, der feinen Grauabstufungen, dem entgeht im Leben viel, zu viel, wie ich meine.

Noch kenne ich Kiarostami als Lyriker nicht, aber seine Schneelandschaften sollen mir Anlass sein, vier der schönsten Schneestrophen hier vorzustellen.

 

Der Tag bricht an, und innehält der Schneefall.
Die Welt, wie ich sie hinterlassen habe,
befreit von aller Qual,
sie liegt, vom Leichentuch bedeckt.
Das Schneefeld nimmt mich in die Lehre:
[…]

aus: Schneelandschaft von Hwang Chi-Woo, Übertragung: Kang Yeo-Kyu und Uwe Kolbe
in: Die Schatten der Fische, Wallstein-Verlag, Göttingen 2006

 

[…]
Der Tag ist knapp geworden
wo immer sich Sprache niederlegt
verschwinden Wörter unter
papiernem Weiß

aus: VARVINTER – Palimpsest I von Ilse Hehn
in: TAGE OST – WEST, Pop Verlag, Ludwigsburg 2015

 

[…]
Fürs erste wird Schnee die
Äcker bestellen. Über verwischte Zeilen
vielleicht eine Rehspur oder Striche
von Krähenflügeln

aus: Zuletzt von Werner Dürrson
in: Kattenhorner Schweigen, Edition Drumlin, Weingarten 1984

 

Schnee war gefallen
im stumpferen Licht
lag er oben am Waldrand
wie graublaues Fell.
[…]

aus: Warme Fährte von Andreas Neeser
in: Wie halten Fische die Luft an, Haymon Verlag, Innsbruck 2015