Marjane Satrapi: „Persepolis. Eine Kindheit im Iran“

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Marjane Satrapi, 1969 in Rascht geboren, ist iranisch-französische Comiczeichnerin, die mit ihrer gezeichneten Autobiografie „Persepolis“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit bekannt wurde. Die deutsche Ausgabe von 2004 wurde von Stephan Pörtner übersetzt.

Diese Graphic Novel ist ein mutiges Buch, nicht weil Satrapi die politischen Bedingungen im Iran benennt, sondern weil aufzeigt wird, wie diese Bedingungen durch ihre Familie hindurch gewirkt haben, wie Menschen zu Tode gekommen sind, die dem heranwachsenden Mädchen sehr nahe standen.

Dieser Ansatz, Geschichte als Familiengeschichte zu erzählen bzw. aufzuzeichnen, ist mit Schmerzen verbunden, die die Autorin teilt, mitteilt. Da ist Trauer, Wut, Hass und Ohnmacht, aber auch die Zärtlichkeit.

Satrapis Zeichnungen sind streng in Schwarz-Weiß und von expressiver Kraft. Sehr selten kommen Grauabstufungen vor, etwa, wenn die Trümmerlandschaft nach Bombenangriffen dargestellt wird. Die Absicht dieser klaren Trennung ist offensichtlich: die und wir. Die Verfinsterung und die Hoffnung.

Die Handlung beginnt 1980, ein Jahr nach der Islamischen Revolution, als das Tragen des Kopftuchs in der Schule Pflicht wird. In Rückblicken werden die Demonstationen gegen den Schah belebt. Die Freude über das Ende seines Regimes ist von kurzer Dauer. Die politische Klasse, in der Satrapis Familie verwurzelt ist, muss schnell realisieren, dass das Leben nicht leichter werden wird. Gesellschaftsanalyse ist eine Sache, Hoffnung dagegen eine andere Kategorie. Politische Gefangene, darunter zwei der Familie bekannte Revolutionäre werden aus dem Gefängnis entlassen. Diese müssen bald vor den neuen Häschern über die Grenze fliehen. Satrapis Onkel Anusch bleibt trotz der sich verschlechternden Lage optimistisch. Mit traurigen Augen blickt er zu Boden und sagt: „Alles wird gut!“ Doch Anusch wird wenig später verhaftet. Es ist Marjane, das Kind, das ihn besuchen darf, 10 Minuten. Der Onkel: „Du bist die Tochter, die ich immer gerne gehabt hätte. Du wirst sehen, das Proletariat wird siegen! […] Stern meines Lebens…“ Die letzten Worte. Am nächten Tag wird Anusch als angeblicher russischer Spion hingerichtet.

Es gehört zu den stärksten Szenen des Buches, wenn Marjane nach der Hinrichtung Anuschs Gott mit den Worten wegschickt: „Halt die Schnauze! Raus hier, ich will dich nie wieder sehen!“

Kurz nach diesen Ereignissen beginnt der Erste Golfkrieg (Irak-Iran-Krieg, 1980 – 1988), den die islamischen Machthaber zur Dogmatisierung des Volkes nutzen. Die männliche Jugend wird in sinnlosen Schlachten geopfert, zu Heroen stilisiert, die das Vaterland verteidigen gegen den Aggressor Saddam Hussein. Der Alltag wir bestimmt durch Verbote, Verdunklungen und Denunziationen. Am Ende bringen die Eltern Marjane aus dem Iran, um sie zu schützen und ihr ein Leben zu ermöglichen.

An einige Stellen bricht die Autorin aus der Familiengeschichte aus und wendet über die Figur direkt an den Leser, so im Kapitel „Schlüssel“, wo Marjane mit erhobenen Zeigerfinger erklärt, was eine Brautkammer ist. Das ist sicher eine Schwachstelle des Buchs. Ich denke, auch bei der Graphic Novel gilt, dass sich die Figurenrede aus der Handlungsabfolge ableitet. So wirkt es besserwisserisch und bei aller Symphatie für die Geschichte: das mag kein Leser!

Noch ein Wort zum Vorwort der Autorin. Sie schreibt: „[…] So wurde das Land häufig von fremden Mächten dominiert. Aber die persische Sprache und Kultur widerstanden den Invasoren. Die Eroberer passten sich dieser gehobenen Kultur an und wurden selbst Iraner […].“

Die Phrase „gehobene Kultur“ ist nichts anderes als ein chauvinistischer Blackout. In dieser Lesart gibt es gehobene und als Gegenstück primitive Sprachen und Kulturen, Kulturvölker und kulturlose Völker. Das ist intellektueller Schwachsinn. Sprache und Kultur sind komplexe Systeme, die niemals primitiv sind. Kultur und Kulturlosigkeit (Zerstörung, Hass, Krieg) wohnen im selben Haus, in jedem von uns. Dazu braucht es keine fundierten Psychologiekenntnisse. Aber das Gerede von Hochkultur und Primitivität soll gerade davon ablenken. Dass Marjane Satrapi dies nicht sieht und unreflektiert über den Iran als „Ayryana Vaejo“, als „Ursprung der Arier“ spricht, ist enttäuschend und hinterlässt eine faden Nachgeschmack.