Phạm Thị Hoài: „Sonntagsmenü“

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„Sonntagmenü“ der 1960 geborenen vietnamesischen Schriftstellerin Phạm Thị Hoài versammelt elf Kurzgeschichten, die 1995 in deutscher Erstausgabe erschienen. Dieter Erdmann übersetzte die Texte ins Deutsche.

Das sind Sätze, die sich selbstverständlich hinschreiben, aber schon ungenau sind, was daran liegt, dass wir in der deutschen Sprache keine differenzierten Ausdrücke für Kurzprosa haben. Die Kurzgeschichte orientiert sich an der short story und meint eine ganz bestimmte Art der Kurzprosa. Die hier versammelte Kurzprosa unterscheidet sich in Länge, Tonart und Inhalt so sehr, dass es nicht leicht ist, diese Sprünge mitzuspringen.

Ein Dilemma der Kurzprosapublikation! Ist die Prosa in der Tonlage zu ähnlich, stellt sich schnell der Verdacht der Wiederholung, ist sie zu unterschiedlich, der Verdacht der Beliebigkeit. Das führt dann mit der verkürzten Perspektive der Kurzprosa als Kurzgeschichte im Hinterkopf zu einem Urteil, wie jenes einer Rezensentin, die schreibt: „Kurzgeschichten sind keine einfache Gattung, und Pham Thi Hoai beweist für meinen Geschmack vor allem, daß ihr dieses Format nicht besonders liegt.“

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebt die Prosaminiatur als shōhin („kleine Stücke“) in Japan eine Blütezeit. Angesiedelt im Grenzbereich zwischen Skizze, Prosagedicht, Betrachtung und Kurzgeschichte. Agnes Fink-von Hoff hat 2006 in ihrer Dissertation „Petitessen, Pretiosen“ eine ausführliche Untersuchung der Prosaminiatur in Japan um 1910 vorgelegt. Nun ist Vietnam nicht Japan. Aber es darf an dieser Stelle ein Plädoyer für die Vielfalt der Kurzprosa gehalten werden. Und mit einem solch geweiteten Blick, weg von einem Format, kommt man zu einem differenzierten Urteil über das vietnamesische Sonntagsmenü.

„Letzte Woche gab es am Montag Goldblütenperlbaumhuhn, Dienstag Phönixembryo, Mittwoch ‚Drachenbart‘, Donnerstag Goldsandrogen, Freitag Bunte Krabbenblumen, Sonnabend ‚Weiße Vögel im Nest‘, heute Sonntag gibt es Ente mit Seegurken ‚Ewiges Leben‘, sage ich.“

Die Enkelin serviert in der Kurzprosa „Sonntagsmenü“ ihrer Großmutter täglich Phantasiegerichte, die sich von der Wirklichkeit des Alltags in Hanoi mit seinen Einschränkungen nicht decken. Die Speisen sind wässrig und eher mit Mangel als mit Zutaten gekocht. Keineswegs jedoch ist die Prosa der Autorin so zubereitet. Phạm Thị Hoài würzt Schärfe und Humor in ihre Sätze, gesellschaftliche Kritik, ja, eine Prise, doch was ist die Suppe ohne diese Prise?

Die ersten Geschichten haben eine weibliche Erzählerin mit selbstbewusster Rede. „Allumfassende Liebe“ beginnt mit den Sätzen:

„In dem Zimmer wie ein Bahnhof, der riskant im fünften Stockwerk hängt, wohne ich allein mit Mutter. Alle Reisende sind Männer. Leute, die an öffentlichen Orten ein und aus zu gehen pflegen. Schau sie dir nur an, auf einer Miet-Toilette, oder wie sie sich um eine lauschig traute Pinkeecke mitten in der Stadt gruppieren, immer sind sie anders als zu Hause. Das heißt, sie verbergen unter ihren Sohlen die Löcher in den Socken, achten genau auf ihre Gesten und Worte und sind ständig auf der Hut.“

Das ist ein frischer Sound, ins Surreale dringend, der gut tut. Ganz anders die zur Karikatur aufgeblasene männlichen Reden- und Denkarten in „Die Geschichte von Meister A.K., dem Intellektuellen von Hanoi“. A.K. fehlt es nicht an Sendungsbewusstsein und schlauen Worten, doch vom einfachen Leben auf dem Land, den Menschen und ihren Problemen hat er nicht die geringste Ahnung. Zwölf, der zwölfte Schüler des Meisters, gerade frisch in die Lehre genommen, bietet dem Meister Paroli.

„Zwölf! Unglaublich! Was für ein gemeiner Blick und was für eine bösartige Zunge! Diese Frau wird eine Madame Bovary werden, eine Anna Karenina!“ – „Reden Sie nur weiter ausländisch. Wenn Sie allen Ernstes aus ihr eine feine Dame machen wollen, dann müssen wir uns überlegen, wie wir sie nach Hanoi entführen können. Dort treiben sich massenhaft heruntergekommene ländliche Nymphchen herum, die ihre keifende Zunge für städtisch halten, mit ihren Hinterbacken wackeln und einen ungenießbaren Satz nach dem anderen von sich geben.“

Wer sich auf die wechselnden Perspektiven und Tonlagen einzulassen vermag, wird von der Autorin mit einer präzisen Erzählweise belohnt, die Facetten auf das Leben in Vietnam freigibt.

„Der Besuch“ ist ein Lehrstück über das Volk.

„Wir sind keine Leute, die davon träumen, dass der Alltag durch große Ereignisse auf den Kopf gestellt wird. Bei uns ist die Seele schlicht, und wir leben fast alle gesund und anspruchslos. […] Wir haben auch keine Dichter. Was man als Dichtung bezeichnet, kann es bei uns gar nicht geben, denn wir sind völlig außerstande, etwas aus der Luft zu greifen oder der Natur Eigenschaften anzuhängen, die einzig und allein der Mensch besitzt.“

Der Besucher, ein Regierungsbeamter, wird erwartet, er kommt selten und das Volk will es ihm Recht machen, es will ein gutes Volk sein. Der aber hält eine barsche Rede und bezeichnet die Leute als rückständig.

„Aber wie kam die Regierung dazu, ein derart unhöfliches Verhalten an den Tag zu legen?! Selbst wenn wir die Regierung durch irgendeine törichte Handlung gekränkt hätten, gäbe es doch genügend Wege, das gütiger und wirkungsvoller zu klären. Nicht zu reden davon, dass wir eigentlich nichts anderes tun, als uns am Fortschritt der Geschichte zu beteiligen.“