10.02.2016 / Märkische Allgemeine:
Kunstraub in Brandenburg
„Penthesilea I“ von Wieland Förster gestohlen
12.02.2016 / Wieland Förster zum 86. Geburtstag!
Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Über einen Mann sprechen, dessen künstlerisches Werk als Bildhauer so umfangreich wie ausgezeichnet ist, der mir aber bis zur Lektüre des obigen Buchs völlig unbekannt war? Über eine Biografie sprechen, die exemplarisch dafür steht, wie die totalitären Systeme im Deutschland des 20. Jahrhunderts sich gegen den Menschen gestellt haben? Über das literarische Debüt des Künstlers aus dem Jahre 1982 sprechen, das ich jetzt unter dem Titel „Die versiegelte Tür“ im Regal alter Bücher fand?
Letztes Jahr zu seinem 85. Geburtstag gab es viele Beiträge über Leben und Werk Försters, beispielsweise auf Deutschlandradio Kultur.
Ich will über „Vollständiger Bericht für Dr. Krull“ sprechen, jene Prosa, die den Prosaband „Die versiegelte Tür“ eröffnet und bei mir eine Tür geöffnet hat zu einem Kapitel meines Lebens, das ich gerne verdränge.
Ich will von der Phase meines Lebens als „Herr Baumeister“ (Förster) sprechen, von den Anfängen meines Architekturstudiums und auch von der kurzen Zeit als angestellter Diplom-Ingenieur, der mitverantwortlich zeichnete für Sanierung und Gestaltungskonzeptionen von Plattenbauten in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Parallel hierzu entwerfe ich eine hoffentlich solide Konstruktion aus Zitaten des Berichts für Dr. Krull, um von Förster die Bedingungen meines eigenen beruflichen Werdegangs zu erfahren. Eine taugliche Konstruktion? Eher eine statische Berechnung ohne Kenntnis der Verkehrlasten!
„Dieser Bericht wird mir zur abenteuerlichen Reise in innere Landschaften, deren Wege, scheinbar bekannt, mich in unbetretenes Dickicht führen, dessen Existenz ich vergaß oder vergessen wollte, jetzt aber, da ich sie gehe, Überraschungen und Erschrecken hervorbringen.“ (Förster)
Im Herbst 1989 begann ich mein Architekturstudium an der Fachhochschule Darmstadt. Mit Verve ging ich daran, meinen Gedanken als junger Student Ausdruck zu verleihen, als ich 1991 ins Gästebuch zur Hans-Scharoun-Ausstellung „Die Grundrissarbeit“ an der Akademie der Künste in Berlin notierte: „Mir fehlt eine inhaltliche Bewertung des Scharounschen Werks, das uns eine breite Palette an Bauaufgaben hinterlassen hat. In welchem Verhältnis steht der private Wohnungsbau mit seinen architektonischen-innenarchitektonischen Qualitäten (Weissenhof, 1927) zum Siedlungsbau mit den städtebaulichen Qualitäten? Konnten Raumqualitäten des Wohnungsbaus mit in die Siedlungen eingebracht werden? Die Individualisierungstendenzen des derzeitigen Bauens müssen doch alle dazu veranlassen angesichts riesiger Wohnungsnot, knapper werdendem Grund und Boden über neue Qualitäten im Siedlungsbau nachzudenken. Es kann ja nicht damit getan sein, die frühen Siedlungen der 50iger und 60iger in die Schublade Funktionalismus zu stecken und heute bis zum Anschlag Neubaugebiete für Einfamilienhäuser aus dem Boden zu stampfen.“
Der Ich-Erzähler des Berichts an Dr. Krull fühlt sich während seines Studiums an der Staatlichen Baumeisterschule wohl, „weil ich vor allem in den Fächern Statik, Mathematik und Raumordnungslehre völlig aufging, die Welt des Denkens fand, in der sich alle Teile zu einer beweisbaren Ordnung zusammenfügen lassen, nichts Unbestimmtes also, Vages, sondern Nüchernheit und Reinheit.“
Und an späterer Stelle: „Ohne große Bedenken löste ich das väteriche Erbe auf und nahm eine Stelle als Bezirksarchitekt mit einer klar definierten Aufgabe an. In den ersten Jahren waren die städtebaulichen Grundlagen in groben Zügen geplant worden, zwar nicht maximal, jedoch so angelegt, daß in fernerer Zukunft, mit besserer Ausrüstung, reicherem Angebot an Materialien, sich die große Linie noch einbauen ließ. […] Bald glaubte ich, als Koordinator der sich vereinzelnden Interessen von Städte- und Verkehrsplanern, von Architekten, Auftraggebern, Ausführungsbetrieben und den in dieser Zeit erstmals hinzugezogenen Malern und Bildhauern mein wirkliches Arbeitsfeld gefunden zu haben.“
Meine erste Anstellung als Diplom-Ingenieur (FH) fand ich in Leipzig. Ich arbeitete als Architekt unter Ingenieuren hauptsächlich an der Sanierung von Plattenbauten in Halle (Saale), Leipzig, Chemnitz und Dresden. Dabei ging es oft genug um die Farbauswahl für den Putz des Wärmedämmverbundsystems, mal ein Balkongestaltung, nicht von der Stange, gar eine wagemutige Vordachkonstruktion oder die Umfassung der Mülltonnenfläche. Auch an pseudo-künstlerische Gestaltungen an den Stirnseiten der Blocks erinnere ich mich, die nichts von der Qualität der realsozialistische Zeit hatten, sondern eine neue Gemütlichkeit ausstrahlen sollten, eine Biederheit, dieses „Jetzt sind wir im Westen angekommen!“ Flachdächer wurden mit Pseudoverschindelungen (Realverschandelungen) zu Satteldachlandschaftchen frisiert.
Ich blieb dort im Osten fremd, den Leuten, mir. Zum Ende meiner Zeit in Leipzig durfte ich meine Kollegin bei einem Wettbewerb unterstützen. Der Sanierung der Punkthochhäuser am Käthe-Kollwitz-Ufer in Dresden-Johannstadt ging ein eingeladener Gestaltungswettbewerb voraus, den wir (meine Kollegin und ich, genauer gesagt: meine Kollegin, denn da ich schon gekündigt hatte, galt ich nicht mehr) schließlich gewannen. Vielleicht muss das so sein, wenn man von der Fahne geht und diese Fahne hatte die Sonne nach wie vor vor blauem Hintergrund.
Später habe ich die Arbeiten der (vier) Mitwettbewerber gesehen und kann sagen, allzu schwer war es nicht, den Auftrag über den Gewinn des Wettbewerb an Land zu ziehen. Wie auch immer, ein Ideenwettbewerb lässt ungeahnte Freiräume, die ich, wenngleich mutmaßlich ohne große Wirkung, zu nutzen wusste. Ich startete neben den Ansichten, den Fassadenabwicklungen, dem Farb- und Materialkonzept eine Initiative zur Belebung der Großraumplatik im öffentlichen Raum, in der ich mich für die Ausschreibung eines Wettbewerbs zur Gestaltung des Außenraums aussprach. Sicher inspiriert von der Ausstellung „Metallkunst in der Deutschen Demokratischen Republik“ von 1989, deren Katalog zu dieser Zeit in meinem Besitz war, regte ich an, sich mit künstlerischen Mitteln dem DDR-Erbe zu stellen. Das muss manchem Wendehals quer im selben gesteckt haben! Geräuschlos sollte es doch gehen: alte Kontakte im neuen System nutzen, Vorzeigekapitalisten nun. Machen, nicht denken! Geld verdienen und immer noch: schön das Maul halten!
Der Ich-Erzähler des Berichts an Dr. Krull stellt sich der von seinem Arzt aufgeworfenen Frage, wann „wir“ einen Knacks bekommen haben. Gemeint ist der Herr Baumeister ganz allein und gemeint ist, wann die gesellschaftlich Utopie eines Sozialismus zusammengebrochen ist. Es geht dabei um ein plastisches Objekt.
„Äußerlich betrachtet, stellte sich das Objekt als eine ungefähr acht Meter hohe, gerippte Edelstahlsäule dar, in deren kräftigem granitenem Sockel alle technischen Anlagen und Instrumente untergebracht waren. Zwei Säulenabschnitte, das obere Leuchtschriftband sowie die ‚Binde‘ der wechselnden Informationen […] drehten sich während einer Minute, gegenläufig, einmal um sich selbt, so daß ein lebhaftes optisches Spiel entstand.“
Eine Multimedia-Plastik, die Informationen ans Volk gibt, Anerkennung erfährt, zunächst, dann aber zunehmend als „Vormundkeule“ verstanden und schließlich gehasst wird. Wann war der Zeitpunkt, als die Stimmung kippte? Wann gab es den Knacks?
Das sind Fragen nach der Vorbildfunktion von Kunst, ihrer Freiheit, ihrer Unterwerfung unter Systeme und dem Untergang der Systeme, wie sie Gunnar Decker in seiner Analyse zum Jahr 1965 aufgeworfen hat und wie sie sich im Lebenslauf von Wieland Förster schmerzhaft abbilden.