Horst Samson: „Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin“

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Wir lesen zu wenig Lyrik, wir alle, uns Lyrikerinnen und Lyriker eingeschlossen. Das ist nicht neu und wird gerne als Grund dafür genannt, dass Lyrik nicht mehr öffentlich diskutiert wird. Die Katze, die sich in den Schwanz beißt: Keine Besprechungen im Feuilleton, kein Publikumszuspruch, keine Besprechungen im Feuilleton, etc.

Dabei sollte über die Leselust gesprochen werden, die es bereiten kann, den Tag ausklingen zu lassen mit den Gedichten einer fremden Person, die einem im Laufe des Abends nähertritt, sich durch ihre Worte vorstellt und dann später, vielleicht erst gegen Mitternacht, vertraut sein wird. Ich spreche also nicht davon, mal ein, zwei Gedichte anzuschauen, sondern einen Gedichtband konzentiert zu lesen.

Diese Woche habe ich Horst Samsons 2014 im Pop Verlag erschienenen Band „Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin“ gelesen und bin mit dem Autor auf eine Zeitreise gegangen von der Verbannung seiner Eltern in die Baragan-Steppe, seiner Geburt 1954, vom stalinistischen Rumänien, dem Exil bis in die Gegenwart.

Meine Jahre, verlorene
Gedichte, Wörter holen mich

(aus: „Bei den Sonnenblumen“)

Manchmal reichen zwei Verse, um die Welt und die Bestimmung des lyrischen Ich darin zu fixieren. Das ist die wunderbare Kraft der Lyrik, die uns Samson zur Verfügung stellt. Machen wir etwas daraus, trotz alledem!

Peter Härtling: „Zwettl“

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In einer Zeit, in der die Bücher immer schneller aus den Buchläden verschwinden, so sie es bis dorthin geschafft haben, gleicht es einem Wunder, einem Buch aus den Achtzigern auf der Straße zu begegnen.

Letzten Herbst waren die Quitten schnell reif geworden. Ich hatte noch keinen Gelee gemacht, da gab es auf dem Markt schon keine Früchte mehr. Eine Freundin aus der Frankfurter Straße gab mir einen Tipp. Der Nachbar um die Ecke bietet noch welche zum Verkauf, sagte sie. Auf dem Bürgersteig dieses Nachbarn stand eine Kiste mit alten Büchern, aus der ich Härtlings „Zwettl“ herausnahm. Der Titel sagte mir nichts, aber der Untertitel „Nachprüfung einer Erinnerung“ weckte mein Interesse. So ging ich mit Quitten und Buch bestückt zurück in die Frankfurter Straße.

„Zwettl“ geht auf die Suche nach Indizien, die Erinnerungen an Kindheit und Krieg, an die Eltern belegen. Härtling möchte herausfinden, was genau wann und warum geschehen ist, ob seine Erinnerungen exakt sind. Für diesen Abgleich fährt er 1971 nach Zwettl, nordwestlich von Wien, befragt Verwandte und offizielle Stellen.

Was Härtling findet, findet sich im Widerspruch zu anderslautenden Aussagen. „Es sei, berichtigt Tante K. mit Erbitterung, alles falsch. So habe es sich nicht zugetragen.“

„Zwettl“ belegt nicht eine Wahrheit, sondern dokumentiert ihre aus verschiedenen Perspektiven, Verzerrungen und Erinnerungslücken hervorgehenden Widersprüche durch „Löschung eines Kapitels“, „Exkurse“ und „Korrekturen“. Und es ist mit 126 Seiten ein schmales, aber großes Buch einer Vater-Sohn-Suche.

Luis Sepúlveda: „Wie Kater Zorbas der kleinen Möwe das Fliegen beibrachte“

Luis Sepúlveda: Wie Kater Zorbas der kleinen Möwe das Fliegen beibrachte

Ein Fund beim Kinderbuchflohmarkt in der Schule. Intuitiv wusste ich, das ist ein Juwel, das fälschlicherweise unter die Masse eselohriger Leselernbücher geraten war. Ich habe das Buch sofort in die Hand genommen und nicht mehr hergegeben. Es stammt in der 11. Auflage aus dem Jahr 2007. Trotz des für ein Buch inzwischen hohen Alters hat es seinen Schwung nicht verloren. Es wirkt frisch und unverbraucht, so wie die ersten Flügelschläge der Möwe Afortunada. Obwohl meine Kinder meine Vorlesestimme längst nicht mehr brauchen, sie lesen viel und schnell, haben sie ihre Augen geschont und dieser Geschichte von Katzen, Möwen und einem Dichter gerne zugehört. Ein großes Vergnügen, mit tollen Illustrationen von Sabine Wilharm.