Janusz Szuber: „Esej o niewinności – Essay über die Unschuld“

Eine kleine Reihe über Bücher, die ich in Buchhandlungen außerhalb Deutschlands gekauft habe.

janoszszuber_essyueberdieunschuld

Auch diesen zweisprachigen Poesieband erstand ich, wie Wisława Szymborskas Wystarczy – Enough in der Buchhandlung Tajne Komplety in Wrocław.

Dabei könnte die Vorgehensweise Janusz Szubers in Esej o niewinności – Essay über die Unschuld im Vergleich zu Szymborska kaum unterschiedlicher sein.

„Janusz Szuber: „Esej o niewinności – Essay über die Unschuld““ weiterlesen

Wisława Szymborska: Wystarczy – Enough

Eine kleine Reihe über Bücher, die ich in Buchhandlungen außerhalb Deutschlands gekauft habe.

wislawaszymborska_enough

Den Poesieband erstand ich in der Buchhandlung Tajne Komplety in Wrocław, der polnischen Europäischen Kulturhauptstadt 2016.

Wystarczy – Enough der polnischen Literaturnobelpreisträgerin von 1996 Wisława Szymborska beinhaltet die letzten Gedichte der Autorin in polnischer Sprache und in englischer Übersetzung durch die in den USA lebenden Irin Clare Cavanagh. Da diese Gedichte zur Zeit nicht in Deutsch vorliegen, ist es eine Annäherung an die Poesie der Polin, die 2012 in Krakau starb.

„Wisława Szymborska: Wystarczy – Enough“ weiterlesen

Adriaan van Dis: „Nathan Sid“

adriaanvandis_nathansid

Die 1983 erschienene Novelle Nathan Sid des 1946 geborenen, niederländischen Schriftstellers Adriaan van Dis (deutsche Erstausgabe 1988, Übersetzer: Siegfried Mrotzek) ist von betörender Schönheit.

Da schreibt ein Erwachsener das Buch der eigenen Kindheit, gibt seiner Einsamkeit, seiner Traurigkeit, seiner Verlorenheit Raum, viel Raum, und versteht es doch, in luftig geschriebenen Kapiteln so etwas wie eine frohe Erinnerung aufzunotieren. Das ist zauberhaft, gerade weil die Kindheitsbilder nicht zuckersüß sind, keine Madeleines de Proust! Sie neigen nicht zur Verklärung, sondern sind sauer, sind gallig. Im wörtlichen Sinne, denn der an Hautausschlägen leidenden Junge wird mit Ochsengallenseife, Zitronensaft und Essigwasser gereinigt. Ma Sid, die fürsorgende Mutter, singt dazu die Verse:

Saures reinigt, Saures peinigt.
Saures im Blut, Saures gegen Eiter,
Saures gegen Furunkel, Karbunkel,
Saures kratzt nicht weiter.

„Adriaan van Dis: „Nathan Sid““ weiterlesen

Ervina Halili: „Der Schlaf des Oktopus“

ervinahalili_oktopus

Schwanenhals und schwarzes Haar
Ervina Halilis Gedichte im Schwebezustand zwischen Traum und Tiefschlaf

In dem in der Edition Korrespondenzen, Wien 2016, herausgegebenen Gedichtband Der Schlaf des Oktopus der 1986 in Prishtina/Kosovo geborenen Lyrikerin Ervina Halili sind Träume allgegenwärtig. Und diese Traumwelten werden gefüllt mit einer sich wiederholenden Kulisse, die mich dazu verführt, fälschlicherweise an Gemälde von Marc Chagall zu denken (ich Pirouette einer vom Wolkenkratzer gefallenen Ballerina, aus: Ode an mich selbst), die ich aus einer lang zurückliegenden Erinnerung in meinem Gedächtnis aufrufe und die Figuren, Menschen, Tiere, die Natur und die vom Menschen geschaffene Umwelt mit schwebender Leichtigkeit erlebe, für einen kurzen Moment, bis sie verschwinden und nicht mehr greifbar sind.

„Ervina Halili: „Der Schlaf des Oktopus““ weiterlesen

Xavier Zimbardo und Bindeshwar Pathak: „Angel of Ghost Street“

xavierzimbardo_angelofghoststreet

War das indische Holi-Fest noch vor einigen Jahren nur wenigen in Europa bekannt, entwickelt es sich nun von einem hinduistischen Frühlingsfest zu einer Fun-Veranstaltung für jedermann, der bereit ist, 27,99 Euro für ein Ticket und fünf Farbbeutel auszugeben. Entsprechende Angebote, absichtlich nicht verlinkt, unter holifestival.de oder holi-gaudy.com.

Ein Fest, das das Ende des Winters markiert und in einem Farbrausch endet, der, so hören wir in Europa, das Kastensystem für einen Tag überwindet und alle Menschen gleich (bunt) macht.

„Xavier Zimbardo und Bindeshwar Pathak: „Angel of Ghost Street““ weiterlesen

Hanne F. Juritz: „Ein Wolkenmaul fiel vom Himmel“

hannefjuritz_einwolkenmaul

Ein Lyrikband aus dem Jahr 1978 fiel mir aus dem Bücherregal im Prettlackschen Gartenhaus entgegen: Hanne F. Juritz, eine hessische Kollegin des Verbands deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS), von 1978 – 1982 Vorstandsvorsitzende des VS Hessen.

Mit Ein Wolkenmaul fiel vom Himmel las ich zum ersten Mal Gedichte der 1942 in Straßburg geborenen Dichterin. Und dieser erste Einblick verdeutlichte einmal mehr, wie zeitlos gute Lyrik ist, wie sie sich Zeitläufen und Zeitströmungen verweigert, im Gegensatz zur Covergestaltung!

„Hanne F. Juritz: „Ein Wolkenmaul fiel vom Himmel““ weiterlesen

Joshua Doder: „Grk ist nicht zu fassen“

joshuadoder_grkistnichtzufassen

Unversehens wachsen Kinder aus dem Vorlese- und Leselernalter heraus. Plötzlich lesen sie selbst und ehrlich gesagt: wir Eltern sind darüber heil froh. Wissen wir alle um die Bedeutung des Vorlesens, dieser Phase der Lesebegleitung, so begrüßen wir ebenso sehr diese Autonomie, auch wenn wir dann keine Ahnung mehr haben, was die Kinder lesen. Bestenfalls kennen wir die bunten Cover und die Ratschläge der Buchhändlerin, die Kinderbücher in lebhaften Worten zu empfehlen vermag. Welcher Erwachsene liest freiwillig ein Kinderbuch?

„Joshua Doder: „Grk ist nicht zu fassen““ weiterlesen

Víctor Rodríguez Núñez: „Mit einem seltsamen Geruch nach Welt“

victornunez_seltsamegeruch

yo soy un tojosista / ich bin ein dichter der sperlingstauben
Das Bekenntnis des Víctor Rodríguez Núñez

Columbina passerina, das Sperlingstäubchen, ist ein sehr kleiner Vertreter seiner Familie, der in Süd-, Mittel- und im südlichen Nordamerika anzutreffen ist. Udo Kawasser, der gemeinsam mit dem kubanischen Dichter Núñez für den vorliegenden Band Mit einem seltsamen Geruch von Welt aus neun Gedichtbänden zwischen 1979 und 2011 die Auswahl getroffen und die Gedichte ins Deutsche übertragen hat, fragte den Autor bei der Lesung auf der Leipziger Buchmesse am 20.3.2016, was hinter dieser Metapher steckt.

Núñez rückt in seiner Lyrik das Landleben in den Fokus und gehörte damit zu einer Gruppe von Poeten, die von den urban geprägten Dichtern Havannas als tojosista abqualifiziert wurden. Der so mit Polemik überzogene Dichter reagiert noch 2011 in seinem Gedicht orígenes aus dem Band tereas mit der Zeilen:

[…]
yo vengo de otro sueño donde los gallos cantan /
ich komme aus einem anderen traum in dem die hähne krähen
[…]
yo soy un tojosista no te olvides /
ich bin ein dichter der sperlingstauben vergiss das nicht
[…]

Es bedarf nur sehr geringer Kenntnis der spanischen Sprache, wie ich sie habe, um zu wissen, dass das Ich, das yo, in beiden Sätzen weggelassen werden kann, ohne den Gesamtsatz zu ändern. Die deutsche Übersetzung bleibt identisch. Das grammatikalische nicht notwendige yo (soy und vengo legen eindeutig 1. Person singular fest) verschiebt den Satz hin zum Ich und betont es, hebt es ab, stellt es heraus. Die Kenntnis dieser sehr einfachen Grammatik wird hier zum Bekenntnis des Schriftstellers über seine Herkunft, die er gegen die Líricos coloquiales, die Alltagsdichter in Kawassers Übertragung, abgrenzt. Das deutsche Wort erscheint harmlos, ein Blick ins Wörterbuch: coloquial = umgangssprachlich, salopp, das verrät etwas mehr über den Plauderton der urbanen Eliten, die den Blick auf die Natur, die Erdung verloren haben.

Bevor ich Núñez‘ Band aufmerksam nach Spuren der Sperlingstaube durchsuche, muss ich zunächst eine Filmsequenz loswerden, an die ich schon seit Tagen denken muss, ohne zu wissen, ob mich das Aufleben der Szenerie in meiner Kritik und der damit verbundenen Annäherung an die Dichter der Sperlingstauben voranbringt oder aber in die Irre lenkt. Ich bekenne offen, meine Kenntnis der kubanischen Literatur, insbesondere der Lyrik, ist unzureichend. Dem kann ich nur meine Neugier, mein unschuldiges Interesse entgegensetzen.

Julian Schnabel überlagert am Ende seines Filmes Before Night Falls (2000) über den Schriftsteller Reinaldo Arenas Szenen des nächtlichen New York, die Stadt, in der Autor 1990 an den Folgen seiner HIV-Infektion starb, mit dem Land, in dem er aufwuchs. Wir sehen ein Kleinkind in einem Schlammloch, irgendwo in einem kubanischen Dorf, das aus einfachen Behausungen besteht. Die Kamera kreist um das Kind, während aus dem Off Musik und ein biografischer Text von Arenas eingesprochen wird. Es entsteht, getragen durch die Poesie des Sterbenden, ein Sog hin zum Ursprung, der Abstammung vom Land. Und Armut und Reichtum werden kräftig durcheinandergewirbelt durch die existenzielle Gewalt der Sprache. Arenas eröffnet seine Biografie mit den Worten:

I was two. I was standing there, naked. I bent down and licked the earth. I used to eat dirt with my cousin Dulce Maria, who was also two. I was a skinny kid with a distended belly full of worms from eating so much dirt. We ate dirt in the shed. The shed was the next place to the house where the animals slept, that is, the horses, the cows, the pigs, the chickens, the sheep.

Sollte die Erwartung geweckt worden sein, dass sich die Trennungslinie der beiden Poesien in einfacher Weise durch die Sprache zieht, hier eine städtische, dort eine naturbelassene, so zeigt uns Núñez schnell auf, wie unzureichend solche Konstrukte bleiben:

[…] Jemand könnte sagen / Vernünftig und kalt / die Verse nackt und schlecht zugeschnitten / keine Landschaften / – er der anfangs verrückt nach Landschaften war – / kaum etwas von Frische / und Vorstellungskraft und Metaphern / Ein Waisenkind der Poesie / Ich bin / wenn sie erlauben / ein Uhrmacherlehrling gebeugt / über die kaputte Aufzugsfeder dieser Welt […] (aus: Nächte, in: Nachrichten eines Einsamen, 1987)

Das Gedicht Manifest aus dem gleichen Band belegt das Missverhältnis zwischen dem, was der Dichter sagen möchte (Me gustería decir) und dem, was er aber sagen muss (Pero debo decir). Die widerstrebenden Kräfte wirken in den Satzbau hinein und es entsteht aus dem unterdrückten Schrei und den Sprechvorgaben des Dogmas ein Mischwesen, eine Utopie:

Gebt der Revolution ihre Flügel zurück

Núñez fragt die Alltagsdichter am Ende des Gedichts, ob nun die Rechnung bezahlt ist. Was genau meint diese offene Rechnung. die nach Abrechnung klingt?

Ein Schlüssel zu dieser Frage könnte das innige Verhältnis zu der Mutter sein, die im Alter von 28 Jahren ihren Sohn Víctor in Havanna geboren hatte. Mit diesem Fakt, Geburt 1955, beginnen die im Internet verfügbaren Informationen über den Autor. Es macht schon etwas Mühe, Spuren der Familiengeschichte zu finden. Auf einem Blogbeitrag des Birmingham Book Festivals 2011 findet sich der Hinweis:

Despite having roots in Galicia, North Spain, the poet’s family opted not to speak Galician as they wanted to be one hundred per cent Cuban.

Liegt die Ausgrenzung der Alltagsdichter im Falle von Núñez hier verborgen: eine Familie, die in ein anderes Land kommt, in eine andere Gesellschaft, sich der Revolution verpflichtet und die doch nicht dafür belohnt wird?

In den beiden Gedichten Ein ums andere Mal und Der Kapitän (in: Der Letzte auf dem Jahrmarkt, 1995) spricht Núñez über seine Eltern. Die Mutter, die

[…] eine Waise / Hausfrau Kommunistin Witwe ist / Alles machen sie meiner Mutter kaputt / Die Kindheit / den Stricksessel / die Ehe / Seht wie sie durch die Fensterläden herausschaut / die nicht vom Regen / sondern von ihrem eigenen Husten / und den fremden Tränen vermodert sind […]

Der Vater, ein

[…] alter Säufer / der das Leben meiner Mutter ruinierte […]

Die Mutter bleibt fest an der Seite des Sohnes. In einer unbedeutend erscheinenden Nebenbemerkung aus dem Band rückseiten (2011) lernen wir den Ursprung von Núñez‘ Poesie kennen:

[…] auf dem verwöhnten eis
frisst sich das murmeltier mit dämmerung voll
worte meiner mutter […]
(aus: [außenränder oder das murmeltier frisst sich mit dämmerung voll ])

Der Sohn trägt die Poesie der Mutter in die Welt. Er schreibt nicht, wie er bei der Lesung in Leipzig klarstellte, über Kuba, sondern von Kuba aus. Die Poesie lässt sich nicht von Systemen, Staaten, Nationen vereinnahmen; sie geht ihren Weg in die Welt und bleibt doch Familienerbe in einer eng definierten Sprache zwischen den Generationen.

y comienza un poema / sencillamente humano / Con raro olor a mundo

und beginnt ein Gedicht / ein einfach menschliches / Mit einem seltsamen Geruch nach Welt

Gleich wie fern kubanische Literatur erscheint, wie unbekannt der Autor mir auch nach einer wunderbaren Lesung, nach diesem lebhaften Wechselspiel zwischen Autor und Übersetzer in Wort, Gestik und Mimik bleiben wird, dieser Geruch ist nicht seltsam, nur seltsam vertraut und sehr willkommen.

György Dragomán: „Der Scheiterhaufen“

dragoman_derscheiterhaufen

Endlich mal ein Buch, das sich nicht über eine mangelnde Wahrnehmung und Anerkennung durch das deutsche und deutschsprachige Feuilleton zu beklagen braucht!

Einen Rezensionüberblick des 2015 auf Deutsch veröffentlichten Romans „Der Scheiterhaufen“ (Übersetzung: Lacy Kornitzer) des 1973 in Târgu-Mureş (Siebenbürgen, Rumänien) geborenen, der ungarischen Minderheit zugehörigen Autors György Dragomán, findet sich bei Perlentaucher.

„György Dragomán: „Der Scheiterhaufen““ weiterlesen

Literaturzeitschrift alba08: „Literatura chilena emergente / Aufstrebende chilenische Literatur“

alba08

In der Rezension zu Antonia Torres: Umzug – Mudanza habe bereits über die Literaturzeitschrift alba. lateinamerika lesen gesprochen. Die Ausgabe alba 08 widmet sich der zeitgenössischen chilenischen Literatur und bietet mit einer Sammlung von Kurzprosa, Romanausschnitten, Lyrik sowie Interviews und literaturhistorischen Essays eine kompakte Annäherung an die Literatur dieses südamerikanischen Landes.

Die Mehrzahl der 28 Autorinnen und Autoren sind in den siebziger oder achtziger Jahren geboren. In annähernd allen Beiträgen wird die Erinnerung beschworen. Es wird auch dem Außenstehenden deutlich, wie die chilenische Gesellschaft durch die Pinochet-Diktatur unterjocht wurde.

Ich werde anhand einiger Textbeispiele aufzeigen, wie dieses belastete Erbe durch die junge Generation verarbeitet wurde. Doch zuvor möchte ich Benjamin Loy, verantwortlicher Redakteur von alba 08 und Übersetzer mehrere Texte in dieser durchgängig zweisprachigen Ausgabe, fragen, wo er Unterschiede im Umgang mit dem totalitären Erbe erkennt. Er schreibt mir:

„Literaturzeitschrift alba08: „Literatura chilena emergente / Aufstrebende chilenische Literatur““ weiterlesen

Antonia Torres: „Umzug – Mudanza“

antoniatorres_mudanza

Auf der Leipziger Buchmesse 2016 fand eine von der Botschaft der Republik Chile organisierte Veranstaltung unter dem Titel Chilenische Gegenwartsliteratur zweistimmig – Literatura chilena actual a dos voces statt. Es lasen Lina Meruane (*1970 in Santiago) und Antonia Torres (*1975 in Valdivia). Moderiert wurde die Lesung von Benjamin Loy, Redakteur der in Berlin herausgegebenen Literaturzeitschrift alba. lateinamerika lesen, deren Nummer 08 sich ausschließlich der zeitgenössischen chilenischen Literatur widmet. Loy las die vorgestellten Texte in deutscher Sprache.

Mein Interesse an der chilenischen Literatur entspringt, allgemein gesprochen, der Neugier, im Speziellen der sich aus ihr abgeleiteten Zusage, den Lyrikband von Enrique Winter (*1982 in Santiago) oben das meer unter der himmel zu besprechen. Das Buch soll bei luxbooks erscheinen, es war bereits für 2015 angekündigt. Die Veröffentlichung verzögert sich leider aus verlagsinternen Gründen. In alba 08 findet sich der Vorabdruck eines Gedichtes, der mir eine Vorschau auf die bevorstehende Aufgabe gewährt.

„Antonia Torres: „Umzug – Mudanza““ weiterlesen