Antje Herden: „Letzten Donnerstag habe ich die Welt gerettet“

antjeherden_letztendonnerstag

Die Welt zu retten, ist eine ziemlich aufregende Angelegenheit.

Kurt, Sandro und die Prinzessin beobachten merkwürdige Veränderungen. Um der Sache auf den Grund zu gehen, müssen sie in die Unterwelt absteigen, im Dunkel(deutsch)land von Kanalisation und Bunkeranlagen. Dort treffen sie auf Kröten, Ratten und Molche, die viel größer als normal sind und den Kindern bedrohlich nahekommen.

„Antje Herden: „Letzten Donnerstag habe ich die Welt gerettet““ weiterlesen

Rudolf Gramich: „Das Wayang-Spiel“

rudolfgramlich_daswayangspiel

Indonesien als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2015

Rudolf Gramichs Roman „Das Wayang-Spiel“ erschien 1999 im Horlemann-Verlag. Damals war der Verlagssitz in Bad Honnef, heute ist er unter Leitung von Anja Schwarz in Angermünde. Der Verlag hat in seiner Asienreihe einen Schwerpunkt Indonesien, der zur Buchmesse mit fünf neuen Titeln herausgestellt wird.

Rudolf Gramich (1931 – 2010) lebte achtzehn Jahre in Indonesien und hat in „Das Wayang-Spiel“ die indonesische Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne beschrieben. Vieles bleibt den Lesern, die sich noch nicht mit Geschichte und Kultur Indonesiens beschäftigt haben, fremd, unbekannt. Dennoch oder aber gerade deswegen lohnt es sich, dieses Buch zu lesen, das das nächtliche Spiel des Puppenspielers (Dalang) zum Anlass nimmt, die Menschen zwischen unterschiedlichen religiösen Traditionen (hinduistische, christlich, muslimische), Befreiungskampf, Militärdiktatur und dem Kahlfraß eines aufkommenden Turbokapitalismus zu zeigen.

Und so profund Gramichs Kenntnisse über die javanische Kultur, die ihren Ausdruck im Schattenspiel der Lederfiguren (Wayang kulit) und der Gamelan-Musik, die Gramich erlernt hatte, findet, hört man die tiefe Sehnsucht heraus, selbstbestimmt und fern der Götzen des Marktes zu leben.

„Leben, einmal leben ohne Gott und ohne Götter. Einfach so leben.“

Gramich jedoch zeigt die Götter bereits als alte Männer, die mit der Gegenwart nicht mehr zurecht kommen. Sie finden die alten Wege nicht mehr, stoßen auf Hochhäuser, in deren oberen Geschosse kleine, mächtige Männer das Land für ihre Zwecke aufteilen.  Hier wird die Lebensgrundlage einer Gesellschaft zerstört, die einst auf dem Prinzip gegenseitiger Nachbarschaftshilfe (Gotong-Royong) aufbaute.

Gunnar Decker: „1965. Der kurze Sommer der DDR“

gunnardecker_1965

Wir malen alle den gleichen Vogel aus
Gunnar Decker vermisst den Möglichkeitsraum der
intellektuellen Elite der DDR vor dem 11. Plenum des
Zentralkomitees (ZK) der SED im Dezember 1965

Jochen Schanotta, siebenjährig, lernt fürs Leben. Der Lehrer sagt
ihm noch: „und daß du nicht über den Rand malst!“ Ich Idiot hab’s so
gemacht, und am Ende hatte ich den gleichen Vogel wie alle. Gunnar
Decker arbeitet als Redakteur der (ehemals ostdeutschen)
Theaterzeitschrift „Theater der Zeit“, Georg Seidels Stück „Jochen
Schanotta“ findet sich im (ehemals westdeutschen) Pendant
„Theater Heute“ (4/87). Andreas Döhler als Schanotta am
Deutschen Theater (2011/2012) bringt den Widerspruch zwischen
Autonomie und Indoktrination der Jugend mit dieser
Eingangsszene auf den Punkt. Nach der Uraufführung des
Stückes in der DDR 1985 am Berliner Ensemble wird eine
Kampagne gegen Seidel, dessen Figur nicht dem sozialistischen
Leitbild entspricht, losgetreten.

„Gunnar Decker: „1965. Der kurze Sommer der DDR““ weiterlesen

Michelle Cahill: „Vishvarūpa“

Michel Cahill: Vishvarūpa

Vishvarūpa der 1969 in Kenia geborenen, australisch-indischen Autorin Michelle Cahill erschien 2011. Die Printausgabe ist nahezu vergriffen. Über die befreundete Lyrikerin Debbie Lim fand das Buch von booktopia in Lidcombe, dem Stadtteil Sydneys, das den Olympiapark von 2000 beherbergt, den langen Postweg nach Deutschland.

Cahill kam nach der Grundschulzeit in London mit der Familie nach Australien. Sie lebt in Sydney, hat für ihre Poesie mehrere Preise erhalten und ist Herausgeberin des Mascara Literary Review.

„Michelle Cahill: „Vishvarūpa““ weiterlesen

Marko Pogačar: „Schwarzes Land“

Marko Pogacar: Schwarzes Land

Der Bauch gefüllt mit fremden Uhren

Lebenswege versammeln sich in der biologischen Mitte des 1984 in Split geborenen Autors. Es rumort. Es tickt. Vielleicht ist da eine Bombe installiert, vielleicht spielt ein Verrückter nur rhetorisch mit der Vergänglichkeit des Lebens. Wer sagt, dass der Narr nicht leidet? In Marko Pogačars Körper trifft sich eine Gesellschaft mit ihren krassen Widersprüchen, ihrer Geschichte und dem Alltag der „unabhängigen Republik der Kühe“. Dort unten, im Übergang von Magen und Darm, zwischen Erbrochenem und Verdautem ist es dunkel, ja: schwarz, sehr finster.

Rezension  auf Faustkultur.

 

Michael Spyra: „Auf die Äpfel hatte der Herbst geboxt“

michaelspyra_aufdieaepfel

Die Form muss durch den Mund gehen

Es bedarf keiner weiteren Erörterung: Der freie Vers reist, wohin er will. Die gebundene Sprache ist begrenzt durch Gesetzmäßigkeiten und schränkt die Handlungsfreiheit des Schreibenden ein. In dieser Reisebeschränkung liegt eine Chance, sich Freiheit auf anderem Weg zu erarbeiten. In welche lyrischen Systeme wurde der 1983 in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) geborene Autor mit dem Mauerfall eingeschult? Was bedeutet es, wenn er auf tradierte Formen zurückgreift, um seine Freiheit darin zu suchen? Warum tut er das? Er tut es, weil er es kann und Freude daran hat. Weitere Auskünfte darüber wird der Autor nicht geben wollen und verweist zurecht auf sein Buch. Doch die Fragen, die sich mir stellen, gehen weiter: In welchem Verhältnis stehen Form und Inhalt? Sind sie gleichberechtigte Partner?

„Michael Spyra: „Auf die Äpfel hatte der Herbst geboxt““ weiterlesen

Werner Dürrson: „Das Kattenhorner Schweigen“

wernerduerrson_kattenhornerschweigen

In the End

The apples remained hanging
on leafless trees or they
lay in the grass every one of them.

For the time being snow
will tend the fields. Over blurred lines
perhaps a deer’s footprint or traces
of crow’s wings.

(Übertragung ins Englische: Michael Hamburger)

Vor über 30 Jahren träumte ich davon, mein Deutsch-Abitur über zeitgenössische deutsche Lyrik verfassen zu dürfen. Hingegen war mein Interesse an anderen Sprachen mehr oder weniger nicht vorhanden und kein Thema meiner Reifeprüfung. 1984, in dem Jahr also, in dem ich mich an einem Gedichtvergleich abarbeitete, wenn auch nicht zeitgenössische Lyrik, sondern Klassik und Expressionismus, erschien „Das Kattenhorner Schweigen“ von Werner Dürrson. Ich weiß nicht, ob ich damals mit den Gedichten über die Landschaft des Bodensees etwas hätte anfangen können.

„Werner Dürrson: „Das Kattenhorner Schweigen““ weiterlesen

Mario Szenessy: „Verwandlungskünste“

marioszenessy_verwandlungskuenste

Dieses Buch ist ein Wunder aus einer anderen Zeit. Es erschien 1967 im S. Fischer Verlag, zu einer Zeit als Peter Härtling als Cheflektor verantwortlich zeichnete.

Die Gestaltung des Covers ist von schlichter Konzentration auf das Wesentliche, die Rückseite eine leere weiße Seite. Das muss für die heutigen Marketingexperten unfassbar sein, diese verspielte Chance, mit markschreierischen Zitaten bekannter Magazine Werbung zu machen, um den Verkauf des Buches anzuheizen. (Oh ja, der Dichter sitzt in seiner ungeheizten Dachkammer und wartet vergeblich auf Brennholz!)

Mario Szenessy, ein deutschschreibender Ungar, lebte von 1930 bis 1976, geboren in einem Ort im westlichen Banat, der heute Zrenjanin heißt, im wechselvollen Spiel der Historie des Balkans aber viele Namen trug, heute Teil Serbiens ist, genauer gesagt der autonomen Provinz Vojvodina. 1942 ging er nach Ungarn, nach Szeged. 1963 kam er nach Deutschland, zunächst Tübingen, später Berlin. „Verwandlungskünste“ ist sein Erstlingswerk.

„Mario Szenessy: „Verwandlungskünste““ weiterlesen

Indra Wussow (Hrsg.): „Ankunft eines weiteren Tages“

indrawussow_ankunft

Zeitgenössische Lyrik aus Südafrika

Die 2013 im Verlag Das Wunderhorn von Indra Wussow herausgegebene Anthologie beinhaltet Gedichte von acht Lyrikerinnen und Lyrikern, übersetzt von Sylvia Geist. In der beigelegten Audio-CD lesen Gabeba Baderoon, Charl-Pierre Naudé, Karin Schimke, Phillippa Yaa de Villiers, Vonani Bila, Kgafela oa Magogodi, Mbali Kgosidintsi und Rustum Kozain ihre Texte in der Originalsprache (zumeist Englisch).

Es steht außer Frage, wie verdienstvoll es ist, die Lyrik der Welt ins Deutsche zu übersetzen und für den deutschen Markt zugänglich zu machen. Dass dabei ein so schönes zweisprachiges, manchmal dreisprachiges Buch entsteht, ist bedeutend.

Schönheit bedeutet keineswegs das Hinwegschauen über die Zerrissenheit und Brutalität einer Gesellschaft, die sich durch Armut, Gewalt und Korruption kennzeichnet. Im Gegenteil. So unterschiedlich die acht Stimmen sein mögen, sie weisen dorthin, wo es wehtut, wo sich die barfüßigen Kinder im Park an zerschlagenen Bierflaschen die Füße zerschneiden.

Jean Portante: „Die Arbeit des Schattens“

jeanportante_diearbeitdesschattens

Auf dem 8. Europäischen Poesiefestival in Frankfurt am Main durfte ich Jean Portante aus Paris kennenlernen. Er gab mir seinen Gedichtband „Die Arbeit des Schattens„, übertragen von Odile Kennel aus dem Jahr 2005 in der luxemburgischen Editions PHI (Original: „Point“, 1999).

Jean ist in Luxemburg aufgewachsen als Sohn italienischer Einwanderer aus den Abruzzen. Er spricht mehrere Sprachen, ohne eine Sprache als seine Muttersprache auszuweisen. Seine Mehrsprachigkeit macht ihn zum Kosmopolit und Übersetzer aus mehreren Sprachen ins Französische, die Sprache, in der er sein umfangreiches Werk schreibt, Als Beispiel für seine Übersetzungen möchte ich den letztes Jahr verstorbenen Autor Juan Gelman nennen (dessen Werk „So arbeitet die Hoffnung. Lyrik des argentinischen Widerstands“ in meinem Regal steht).

„Jean Portante: „Die Arbeit des Schattens““ weiterlesen

Daša Drndić: „Sonnenschein“

dasadrndic_sonnenschein

„Das macht mir Angst, wenn in Menschen, die Ungeheuer sind, von denen wir wissen, dass sie Ungeheuer sind, Metzger, Schlächter, perverse Sadisten, wenn wir in ihnen ein Stückchen Menschlichkeit erkennen, Sanftheit und Ohnmacht, das ist der Horror.“

„Sonnenschein“ (Übersetzung: Brigitte Döbert und Blanka Stipetić) der 1946 in Zagreb geborenen Autorin Daša Drndić handelt von Horror, nicht endend wollendem Horror. Nachdem ich vor vielen Jahren Pasolinis „Salò oder die 120 Tage von Sodom“ im Kino gesehen hatte, war ich mir sicher, dem ultimativen Horror begegnet zu sein. Aber es hört nicht auf. Ich habe das Gefühl, immer noch am Anfang zu sein und mich doch gleichzeitig seit mehr als 35 Jahren im Kreis zu drehen.

„Daša Drndić: „Sonnenschein““ weiterlesen