Die blauen und die roten Pillen
Sie kommt schlecht damit klar, aber sie würde es wieder gleich machen, wieder die rote Pille nehmen. Sie hätte die blauen Pille wählen können: man geht ins Bett, und am nächsten Morgen erinnert man sich an nichts mehr, Entscheidet man sich für die rote: die Welt, wie sie wirklich ist. Das Schattenreich, in dem Antonio zu zittern begann, als sie erzählte, in aller Unschuld, dass ihr Vater bei der Guardia Civil gewesen war.
Sie, das ist Maite, eine junge Spanierin, die mit einem Austauschprogramm zum Studium nach München kommt, ins wiedervereinte Deutschland des Jahres 1990. Sie kommt aus einer erzkonservativen Familie, in dem der Antikommunismus immer hochgehalten wurde und auch Jahrzehnte nach Francos Tod die Essenz des Familienlebens ausmacht, eines Familienleben, das von Maites strengen Vater Francisco gelenkt und bestimmt wird. Maite mit ihrem jugendlichem Elan schert aus der Familienlinie aus, macht bei Aktionen der Linken mit, ein enfant terrible, das droht, das Ansehen der Familie zu schädigen. So stimmt der Vater zu, die Tochter nach Deutschland zu schicken, freilich unter von ihm diktierten Auflagen.
Verena Boos führt uns in ihrem inzwischen mehrfach preisgekrönten Debüt Blutorangen in unbearbeite Geschichtsfelder des Faschismus und des Franquismus, in Zonen, wo im übertragenen und wörtlichen Sinne noch Leichen verborgen sind, zugeschüttet durch Erdreich und Schweigen.
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