Ein Roman von fulminanter Wucht, würde ich mir, sollte ich für den Verlag eine Kritik von „Lügen über meinen Vater“ von John Burnside auf verwertbare, griffe Formeln untersuchen, markieren. Ich selbst lege bei der Auswahl meiner Lektüre keinen großen Wert auf diese Kritikerstimmenschnipsel, die auf der Rückseite abgedruckt sind und dort abbrechen, wo die Rezension ins Detail geht und differenziert.
Tschola Lomtatidse: „Die Beichte“
„Die Beichte“ des georgischen Revolutionärs und Schriftstellers Tschola Lomtatidse (1878 – 1915) versammelt fünf Erzählungen, die, wie wir aus dem Vorwort von Dato Barbakadse erfahren, der lyrischen Prosa und gleichsam der klassischen Moderne der georgischen Literatur zuzurechnen sind. Ins Deutsche übertragen wurden die Texte vom Artschil Chotiwari, Steffi Chotiwari-Jünger und Nino Stoica.
Diese uns in Mitteleuropa ferne Literatur zugänglich zu machen, ist ein Verdienst von Uli Rothfuss, dem Herausgeber der Kaukasischen Bibliothek, und dem Verleger Traian Pop.
J.M.G. Le Clézio: „Onitsha“
Mich in die Hände dieses Buches zu begeben, war eine gute Entscheidung. J.M.G. Le Clézio, Literatur-Nobelpreisträger von 2008, führt mich in „Onitsha“ (Übersetzung: Uli Wittmann) entlang der Westküste Afrikas zu immer neuen Orten, die meine Sehnsucht wecken und es mir ganz leicht machen, mich in den 12-jährigen Fintan hineinzuversetzen. Das Kind reist mit seiner noch jungen Mutter, die er nur noch „Maou“ nennt, nach Onitsha, um seinen unbekannten Vater zu treffen und dort als Familie zu leben.
Onitsha im Jahre 1948 ist ein kleiner Ort am Ufer des Nigers, in den sechziger Jahren Schauplatz von Krieg und Hunger (Biafra-Krieg), heute eine Millionenstadt im Süden Nigerias.
Sipho Sepamla: „Soweto, das ich liebe“
Wenn Indra Wussow in ihrem Nachwort „Poetische Landschaften der Leere – Südafrikanische Lyrik zwischen den Zeiten“ der im Verlag Das Wunderhorn erschienenen Anthologie „Ankunft eines weiteren Tages“ von den Dichtern des Struggle spricht, dann meint sie sicher auch Sipho Sepamla (1932 – 2007). Sie schreibt über die Zeit des Soweto Uprising im Jahr 1976:
„Lyrik war politisch, gab den Menschen im Kampf gegen den übermächtig scheinenden Apartheidsstaat eine Stimme und Trost. Selten hat eine Generation südafrikanischer Dichter, Verbannte im eigenen Land oder Exilanten, einen so wichtigen und sichtbaren Beitrag zur Befreiung des ganzen Volkes von den Fesseln eines Unrechtsstaates geleistet.“
Tuncer Cücenoğlu: „Çıkmaz Sokak – Die Sackgasse“
Am Pfingstmontag werde ich eine gemeinsame Lesung mit dem türkischen Dramatiker Tuncer Cücenoğlu im Rahmen des 8. Europäischen Poesiefestivals in Frankfurt am Main gestalten. Einladung und Programm des Festivals folgen in den kommenden Tagen.
In Vorbereitung zu dieser Lesung habe ich heute das Drama „Çıkmaz Sokak“ gelesen, das von Yücel Erten aus Istanbul übersetzt wurde und unter dem Titel „Die Sackgasse“ auf dem Webseite von Tuncer Cücenoğlu als Download zur Verfügung steht.
Das Stück ist im oben abgebildeten Band in 1. Auflage 1993 erschienen.
„Tuncer Cücenoğlu: „Çıkmaz Sokak – Die Sackgasse““ weiterlesen
Michel Laub: „Tagebuch eines Sturzes“
Wie der Pole Piotr Paziński ist auch der Brasilianer Michel Laub ein im Jahr 1973 geborener Schriftsteller jüdischer Abstammung. Wie Pazińskis „Die Pension“ geht auch Michel Laub in seinem Roman „Tagebuch eines Sturzes“ (Übersetzung: Michael Kegler) an die Erinnerungsarbeit.
Der Ich-Erzähler erinnert sich an den Moment, als er mit seinen jüdischen Mitschülern den einzigen Nichtjuden João in der Klasse zu dessen 13. Geburtstag dreimal in die Luft werfen und ihn dann nach dem dritten Wurf nicht auffangen.
„Ich träume oft von dem Moment dieses Sturzes, einer Stille von einer, vielleicht zwei Sekunden, einem Saal von sechzig Leuten, und niemand gibt ein Laut von sich, und es war, als warteten alle auf den Schrei meines Klassenkameraden …“
Piotr Paziński: „Die Pension“
„Die Pension“ des 1973 geborenen polnisch-jüdischen Autors Piotr Paziński ist ein Meisterwerk (Übersetzung: Benjamin Voelkel). Ein schmaler Roman mit wenig Handlung, aber ein Meisterwerk. Nicht mehr, nicht weniger.
Die Exposition, der erste Satz des Romans, ist von schier nicht verkraftbarer Tragweite.
„Im Anfang waren die Gleise.“
Tara Books, Chennai, Indien
Bei der Frankfurter Buchmesse 2014 nahm ich mir etwas Zeit, die Hallen der ausländischen Buchverlage zu besuchen. Dabei entdeckte ich Tara Books aus Chennai, Indien. Ein Verlag, der Bilderbücher für Erwachsene und Kinder in seiner Kooperative herstellt. Bibliophile Kostbarkeiten, wie etwa das von drei bekannten Künstlern des Gond-Stammes reich ausgestattete Bilderbuch: „The Night Life of Trees“. Das Buch ist 2006 erschienen und inzwischen in der 10. Auflage.
Die Gond, Waldbewohner in Zentralindien, sehen in den Bäumen tagsüber hart arbeitende Pflanzen, die Schatten, Schutz und Nahrung bieten. Nachts jedoch zeigt sich ihr spirituelles Wesen.
Wie die drei Künstler Bhajju Shyam, Durga Bai und Ram Singh Urveti diesen Geist uns durch ihre Illustrationen nahe bringen, ist ein Fest für die Augen. Die kurzen von Gita Wolf und Sirish Rao ins Englische gebrachten Texte geben Anhaltspunkte und lassen viel Raum für diese wunderbaren Zeichnungen.
N.B. Das Buch gibt es in deutscher Sprache bei Baobab Books.