Ramsingh Urveti: „I Saw a Peacock with a Fiery Tail“

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Was passiert, wenn man ein aus dem 17. Jahrhundert stammendes Gedicht anonymer Herkunft, das auf zweierlei Weise gelesen werden kann, zusammenbringt mit einem Künstler aus Zentralindien, 1970 geboren und einem Buchdesigner aus São Paulo stammend, heute in New York lebend?

Es entsteht prämierte Buchkunst vom Feinsten.

Das Gedicht I Saw a Peacock with a Fiery Tail ist fester Bestandteil von Anthologien zur Kinderpoesie in England, weist in seinen Lesarten des Verrückten, Absurden und des Geordneten, Normalen aber weit über Kinderreime hinaus.

Is the difference between fantasy and reality largely grammatical? Or are these inventions the very essence of poetry […]?

Wie Ramsingh Urveti und Jonathan Yamakami dieses Gedicht für Tara Books graphisch umsetzen und als Buch gestalten, ist sehr schön. Und diese Schönheit wirkt seit 2011, inzwischen in der 3. Auflage.

Einen Einblick gibt ein Video auf Youtube. Doch, Vorsicht! Dieses Buch in eigenen Händen zu halten, ist unvergleichlich. Und man muss gar nicht auf Buchmessen sein (wie gerade aktuell in Frankfurt) oder nach Chennai reisen, wo Tara Books zuhause ist, um Bücher aus dem Verlagsprogramm zu bekommen: Runge Verlagsauslieferung (Kontaktperson: Jutta Hartmann) in Steinhagen hilft gerne weiter.

Ilse Hehn: „Tage Ost – West“

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Ohne Fortsetzung und Fußnoten
Gedichte und Überschreibungen von Ilse Hehn über die Heimat Banat und andere Zungen

In Wort und Bild präsentiert der Pop Verlag die 1943 geborene Schriftstellerin und Bildenden Künstlerin in ihrer neuesten Veröffentlichung. Die eingefügten bildnerischen Arbeiten gehen dabei über die oft gesehene ausschmückende Funktion bei Lyrikpublikationen hinaus. Auch wenn der kreative Prozess – entsteht zuerst der Text, wird dann daraus die Collage mit Textfragmenten oder inspirieren die Farben, die Materialität der Collage und einzelne Textsplitter zur Ausarbeitung eines Gedichts? – nicht erlebbar ist, so wird schon beim ersten Anschauen der bildnerischen Arbeiten klar: Ilse Hehn versteht das Wechselspiel zwischen Literatur und Kunst. 18 Arbeiten, Fotografien oder Fotocollagen mit Überschreibungen und Übermalungen, auch Materialmontagen aus Buchseiten und Baumrinden, bringen uns die Künstlerin nahe. Bedauerlicherweise fehlen Angaben zur Größe der Kunstwerke und zum Entstehungsjahr. Es ist reizvoll, das Titelbild neben eine Arbeit von Shirin Neshat mit dem Titel „I am It’s Secret (aus der Serie: „The Women of Allah Series“) von 1993 zu legen. Zwei andere Arbeiten sagen mir besonders zu. Sie unterscheiden sich durch ihre Farbtemperatur stark: „Wüste, bilderlos“ mit Malerei aus dem Zyklus „Die Farbe Ägyptens“, ein Fest der Hitze, in Ocker und gebrannten Erdtönen, dagegen „Palimpsest I“ mit der Bläue von Schnee und Eis. (Heute las ich in der Zeitung, dass die Schotten mehr Wörter für Schnee haben als die Inuit: 421!) Farblos bleibt dagegen die Arbeit „Fieberwahn“, eine Schwarz-Weiß-Collage, die Aktenschnipsel der Securitate zur Person Hehns anordnet. Ich hege den Verdacht, hier soll die Armut, die Phantasielosigkeit, die Drögheit des Überwachungsapparates vorgeführt werden. Dennoch funktioniert die Collage nicht, wie auch die Wortcollage mit dem Titel „Das Eigenleben der Wörter“. Vielleicht liegt es am Fehlen der Zwischentöne, jener Grauwerte, die ich schon Horst Samson ans Herz gelegt, die er vehement abgelehnt hat und die in Hehns farbigen Arbeiten diese feinen Nuancierungen ausmachen.

Die Gedichte sind in drei Abschnitte aufgeteilt. Mit „Die Heimat, die Zunge“ als erster Teil wird Bezug auf Elias Canetti und dessen autobiographischer Arbeit „Die gerettete Zunge: Geschichte einer Jugend“ genommen. Und auch auf die 2013 von Samson herausgegebenen Anthologie „Heimat – gerettete Zunge“. Hehns Gedicht „Temeswar. Ein Befund“, im Band gleich an zweiter Stelle, gehört zu den Stärksten dieser Veröffentlichung. Ein vorangestelltes Epigraph zitiert T. S. Eliot mit einem Ausschnitt aus „The Waste Land“, dann beginnt das nach erfolgter Untersuchung festgestellte Ergebnis:

eine Oper ist Zentrum im
Verkehr der Gesten
die Bäume haben anscheinend aufgegeben
zu fragen wie Fuß fassen in diesen Zeiten
zwischen Einkaufswagen hat man jetzt
Palmen gepflanzt
im Supermarkt addiert die Kassiererin
das Verlangen nach Posten nach Arbeit
ihr geht alles so leicht von der Hand
unterdessen greifst du nach Klopapier

Der Abschnitt „Zieh Leine, Poesie“ wird geprägt durch die Erlebnisse einer Ägypten-Reise, die aus touristischen Attraktionen, terroristischer Bedrohung und gesellschaftlicher Umwälzung am Tahrir-Platz in Kairo ihre Anspannung speist.

während ich notiere wo ich bin
1. Februar 2010 zerfällt in Dinge die
Stunde sandig rauen Flugsand
Aufleuchten inmitten
von Staub

Im letzten Abschnitt „Kleine Fernen“ sind weitere Reisebilder verarbeitet. Doch so schön die Szenen aus Florenz sind, die die Stadtlandschaft der Renaissance als Gegenstand eines Vergangenheit und Gegenwart reflektierenden Beobachters belegen, mich zieht es zur Naturlandschaft, nach Norden, wo die Ausdrücke karg werden und, gerade in dieser Reduktion, wunderschön, wortgewandt.

Der Tag ist knapp geworden
wo immer sich Sprache niederlegt
verschwinden Wörter unter
papiernem Weiß

Über allen Gedichten schwebt die Frage der Heimat. Kann ich in der Ferne auch heimisch werden? Reicht es, wenn ich meine Zunge im Gepäck habe? Oder lässt mich die Landschaft der Kindheit nie mehr los? Solcherlei Geplänkel mag altmodisch erscheinen oder nach Tagesaktualität klingen: nach Flüchtlingen, nach Sprachkursen. Ich denke an Canetti, der mit Brachialgewalt Deutsch lernen musste und ich denke ans Banat, vor kurzem eine mir literarisch wie geographisch unbekannte Region, die meine Muttersprache Deutsch in der Fremde bewahrte. Wo also ist Heimat verortet?

Abschließend möchte ich ein Thema zur Diskussion stellen, das mich beim Lesen der Gedichte beschäftigt hat.

Also so könnte es sein:
Eine Explosion, ein Schuss, ein
Comic ohne Fortsetzung und Fußnoten.

Nehme ich diese letzte Zeile des Gedichts „Fahrt nach Abu Simbel“ für bare Münze, so muss sich die Autorin doch ratlos fühlen angesichts der eigenen Worte. Ich höre den Wunsch heraus, Eindeutigkeiten zu liefern, die eben nicht der Erläuterung bedürfen. Warum ist dann aber in diesen Gedichtband ein Fußnotenapparat eingefügt, der der DIN 5008 entspricht? Wovon ich spreche? Diese Norm hält die Schreib- und Gestaltungsregeln für Textverarbeitung fest. Ihre Anwendung findet sie im Büro- und Verwaltungsbereich. Sie legt fest, dass Fußnoten als Konsultationszeichen (oder auch Anmerkungsziffern genannt) im Lauftext darzustellen sind, durch hochgestellte arabische, fortlaufend nummerierte Zahlen. Am Ende der Seite, getrennt durch mindestens eine Leerzeile zum Text folgt der Fußnotenstrich, danach in Konsultationsgröße, einem kleineren Schriftgrad, die Erläuterungen.

Unabhängig von der Sinnhaftigkeit dieser Erläuterungen, stellt sich mir die Frage nach der Lesbarkeit der Texte. Meine Selbstbeobachtung war: ich werde aus dem Lesefluss geworfen, die poetischen Abfolgen werden brachial unterbrochen. Das ging bis zu einem Unwillen, über diese Hürden zu springen und weiterzulesen. Der Titel eines Gedichtes ist wie folgt dargestellt:

SAQQARA14 / Grabstätte des Kagemni15

Natürlich lese ich die Fußnoten mit, bin doch auch nur ein braver Bürger! Aber wo bleibt die Poesie? Sie stellt sich in diesem Moment nicht ein. Sollten wir uns unterwerfen unter das Diktat einer Verwaltungsvorschrift? Wo bleibt unsere Freiheit? Wollen wir Staatsdienst und Staatsschutz einen Triumph gönnen? Hatte die Securitate einen Fußnotenapparat?

Das sind hoch fliegende, auch ketzerische Gedanken, ja! Kleiner, pragmatischer gesprochen: manchmal tut eine Erläuterung gut, aber es ist sicher nicht schlechter, wenn auf hochgestellte Zahlen verzichtet wird. Das hat übrigens auch Erich Fried in seinem 1974 veröffentlichen Gedichtband „Höre, Israel!“, der vom Autor als „Gedichte und Fußnoten“ verstanden werden wollte. Trotz aller Wichtigkeit des politischen Kontextes bei Fried und anderen: „Gedichte und Überschreibungen“ sind mir sympathischer, ohne Fußnoten.

 

Michelle Cahill: „Vishvarūpa“

Michel Cahill: Vishvarūpa

Vishvarūpa der 1969 in Kenia geborenen, australisch-indischen Autorin Michelle Cahill erschien 2011. Die Printausgabe ist nahezu vergriffen. Über die befreundete Lyrikerin Debbie Lim fand das Buch von booktopia in Lidcombe, dem Stadtteil Sydneys, das den Olympiapark von 2000 beherbergt, den langen Postweg nach Deutschland.

Cahill kam nach der Grundschulzeit in London mit der Familie nach Australien. Sie lebt in Sydney, hat für ihre Poesie mehrere Preise erhalten und ist Herausgeberin des Mascara Literary Review.

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Marko Pogačar: „Schwarzes Land“

Marko Pogacar: Schwarzes Land

Der Bauch gefüllt mit fremden Uhren

Lebenswege versammeln sich in der biologischen Mitte des 1984 in Split geborenen Autors. Es rumort. Es tickt. Vielleicht ist da eine Bombe installiert, vielleicht spielt ein Verrückter nur rhetorisch mit der Vergänglichkeit des Lebens. Wer sagt, dass der Narr nicht leidet? In Marko Pogačars Körper trifft sich eine Gesellschaft mit ihren krassen Widersprüchen, ihrer Geschichte und dem Alltag der „unabhängigen Republik der Kühe“. Dort unten, im Übergang von Magen und Darm, zwischen Erbrochenem und Verdautem ist es dunkel, ja: schwarz, sehr finster.

Rezension  auf Faustkultur.

 

Michael Spyra: „Auf die Äpfel hatte der Herbst geboxt“

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Die Form muss durch den Mund gehen

Es bedarf keiner weiteren Erörterung: Der freie Vers reist, wohin er will. Die gebundene Sprache ist begrenzt durch Gesetzmäßigkeiten und schränkt die Handlungsfreiheit des Schreibenden ein. In dieser Reisebeschränkung liegt eine Chance, sich Freiheit auf anderem Weg zu erarbeiten. In welche lyrischen Systeme wurde der 1983 in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) geborene Autor mit dem Mauerfall eingeschult? Was bedeutet es, wenn er auf tradierte Formen zurückgreift, um seine Freiheit darin zu suchen? Warum tut er das? Er tut es, weil er es kann und Freude daran hat. Weitere Auskünfte darüber wird der Autor nicht geben wollen und verweist zurecht auf sein Buch. Doch die Fragen, die sich mir stellen, gehen weiter: In welchem Verhältnis stehen Form und Inhalt? Sind sie gleichberechtigte Partner?

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Werner Dürrson: „Das Kattenhorner Schweigen“

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In the End

The apples remained hanging
on leafless trees or they
lay in the grass every one of them.

For the time being snow
will tend the fields. Over blurred lines
perhaps a deer’s footprint or traces
of crow’s wings.

(Übertragung ins Englische: Michael Hamburger)

Vor über 30 Jahren träumte ich davon, mein Deutsch-Abitur über zeitgenössische deutsche Lyrik verfassen zu dürfen. Hingegen war mein Interesse an anderen Sprachen mehr oder weniger nicht vorhanden und kein Thema meiner Reifeprüfung. 1984, in dem Jahr also, in dem ich mich an einem Gedichtvergleich abarbeitete, wenn auch nicht zeitgenössische Lyrik, sondern Klassik und Expressionismus, erschien „Das Kattenhorner Schweigen“ von Werner Dürrson. Ich weiß nicht, ob ich damals mit den Gedichten über die Landschaft des Bodensees etwas hätte anfangen können.

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Indra Wussow (Hrsg.): „Ankunft eines weiteren Tages“

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Zeitgenössische Lyrik aus Südafrika

Die 2013 im Verlag Das Wunderhorn von Indra Wussow herausgegebene Anthologie beinhaltet Gedichte von acht Lyrikerinnen und Lyrikern, übersetzt von Sylvia Geist. In der beigelegten Audio-CD lesen Gabeba Baderoon, Charl-Pierre Naudé, Karin Schimke, Phillippa Yaa de Villiers, Vonani Bila, Kgafela oa Magogodi, Mbali Kgosidintsi und Rustum Kozain ihre Texte in der Originalsprache (zumeist Englisch).

Es steht außer Frage, wie verdienstvoll es ist, die Lyrik der Welt ins Deutsche zu übersetzen und für den deutschen Markt zugänglich zu machen. Dass dabei ein so schönes zweisprachiges, manchmal dreisprachiges Buch entsteht, ist bedeutend.

Schönheit bedeutet keineswegs das Hinwegschauen über die Zerrissenheit und Brutalität einer Gesellschaft, die sich durch Armut, Gewalt und Korruption kennzeichnet. Im Gegenteil. So unterschiedlich die acht Stimmen sein mögen, sie weisen dorthin, wo es wehtut, wo sich die barfüßigen Kinder im Park an zerschlagenen Bierflaschen die Füße zerschneiden.

Jean Portante: „Die Arbeit des Schattens“

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Auf dem 8. Europäischen Poesiefestival in Frankfurt am Main durfte ich Jean Portante aus Paris kennenlernen. Er gab mir seinen Gedichtband „Die Arbeit des Schattens„, übertragen von Odile Kennel aus dem Jahr 2005 in der luxemburgischen Editions PHI (Original: „Point“, 1999).

Jean ist in Luxemburg aufgewachsen als Sohn italienischer Einwanderer aus den Abruzzen. Er spricht mehrere Sprachen, ohne eine Sprache als seine Muttersprache auszuweisen. Seine Mehrsprachigkeit macht ihn zum Kosmopolit und Übersetzer aus mehreren Sprachen ins Französische, die Sprache, in der er sein umfangreiches Werk schreibt, Als Beispiel für seine Übersetzungen möchte ich den letztes Jahr verstorbenen Autor Juan Gelman nennen (dessen Werk „So arbeitet die Hoffnung. Lyrik des argentinischen Widerstands“ in meinem Regal steht).

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Ales Rasanaŭ: „Zeichen vertikaler Zeit“

Ales Rasanau: Zeichen vertikaler Zeit

Wieder mal ein Buch, das ich aus Buchregal gebrauchter Bücher ziehe, im Prettlackschen Gartenhaus, wo abgelegte Bücher ein Asyl finden, bis sie ein prüfende Hand mitnimmt.

„Zeichen vertikaler Zeit“ vom 1947 geborenen, weißruthenischen (weißrussischen) Schriftsteller Ales Rasanaŭ versammelt Poeme, Versetten, Punktierungen und Betrachtungen, die von Elke Erb ins Deutsche übertragen wurden. Das Buch erschien 1995 als 28. Druck der Erato-Presse Berlin.

Besonders beeindruckt hat mich der 58-teilige Gedichtszyklus „Lehm“.

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Mit der Macht
Die wir in die Dinge legen,
Um sie zu beherrschen,
Halten die Dinge
Uns fest.

Untereinander
Stimmen wir uns zu,
Stimmen überein
Und begrüßen uns
Bei den Begegnungen.

Aber die Tiefe
Tritt von uns zurück
Und bedeckt sich mit der Dicke
Der Oberfläche.

Und nur der Lehm allein –
Daß wir uns nicht verlieren –
leuchtet

Wie eine Laterne.

 

Weitere Informationen zum Buch und ein Gespräch von Sylvia Geist mit dem Autor sind auf planetlyrik.de zu finden.

Ioana Nicolaie: „Der Norden“

Ioana Nicolaie: Der Norden

zum Lachen musst du die Asche ausfegen,
lass leuchtend die Lauge übers Leinen gleiten

(aus: „Krümel“)

Die 1974 geborene Rumänin Ioana Nicolaie hat mit „Der Norden“ („Nordul“) ihren zweiten Lyrikband im Jahr 2002 vorgelegt, der von Eva Ruth Wemme ins Deutsche übersetzt und von Traian Pop 2008 verlegt wurde.

Der Gedichtband ist den Eltern und Geschwistern der Autorin gewidmet. Zweifelsfrei führt uns die Autorin in ihre Familiengeschichte. Sie sucht und findet überzeugende poetische Bilder für die Erinnerungen, die sie nicht abstreifen kann, die bearbeitet werden wollen, die den Weg des geschriebenen Wortes gehen müssen, so wie das ungeborene Kind seinen Weg aus dem Bauch der Mutter nehmen muss, schmerzhaft ahnend, dass dieser voller Entbehrungen sein wird.

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Richard Wagner: „Schwarze Kreide“

Richard Wagner: Schwarze Kreide

Das Interview mit Horst Samson auf Faustkultur ist mir Anlass, den Lyrikband „Schwarze Kreide“ von Richard Wagner, eines weiteren Vertreters der rumänisch-deutschen Literatur und Wegbegleiter Samsons, aus dem Regal zu holen. Das Buch, 1991 erschienen, ist seit 1999 in meinem Besitz. Ich weiß nicht mehr, wie es zu mir fand, das nummerierte Exemplar trägt die Nummer 271 von 1000.

Wie ich schon im Beitrag über den Lyrikband „Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin“ von Horst Samson sagte: Manchmal reichen zwei Verse, um die Welt und die Bestimmung des lyrischen Ich darin zu fixieren.

Hier bei Richard Wagner sind es drei Verse, die mich aufhorchen lassen. Sie stammen aus dem Gedicht „Die Lichter meiner Dörfer„, das Moses Rosenkranz gewidmet ist.

Ich bin auf eine lange Reise gegangen.
Wörter, schwarze Maulbeeren,
veränderten mir das Gesicht.

Wer war Moses Rosenkranz und auf welche Reise ging er?

Wolf Biermann hat einen Nachruf auf ihn im Spiegel 22/2003 veröffentlicht. Und Deutschlandfunk würdigt den Dichter zu seinem 100. Geburtstag.

1991 jedoch war der 1904 in der nördlichen Bukowina geborene Moses Rosenkranz in Deutschland nahezu unbekannt, obwohl er sich nach seiner Flucht aus Rumänien 1961 im Schwarzwald niedergelassen hatte, ohne sich je dort, in Deutschland, zuhause zu fühlen.

Erst die fast eine Generation später aus Rumänien kommenden deutschsprachigen Autoren, tragen ihn im Gedächtnis und bringen ihn ins Bewusstsein eines gerade vereinten Deutschlands. Mit „Die Lichter meiner Dörfer“ spricht Richard Wagner ebenso sehr über Rosenkranz wie über sich selbst. Er spricht über den Verlust der Heimat und über die Kontinuität staatlicher Repression.

Der Rimbaud-Verlag Aachen hat das Werk Moses Rosenkranz‘ verlegt.