Nichita Danilov: „Vulturii orbi | Die blinden Adler“

Umbra, Cenușa | Schatten, Asche

Beide Worte verweisen auf die Vergänglichkeit (des eigenen Seins) und die Vergangenheit (als Lebensgeschichte der Vorfahren), auch wenn sie gelegentlich im gegenständlichen Sinn gemeint sind: Häuserschatten oder Asche, die von einer Zigarette abfällt (hier: scrumul = Die Asche)

Stă în umbra mea cel a cărui umbră sînt eu.
In meinem Schatten steht der dessen Schatten ich bin.
(aus: Arlechini la marginea cîmpului | Harlekine am Rand des Feldes)

Liniștit creștea cenușa…
Sacht vermehrte sich die Asche …
(aus: Poem pentru absență | Gedicht für die Abwesenheit)

Mit Vulturii orbi | Die blinden Adler erreichen uns Gedichte des rumänischen Dichters Nichita Danilov (* 1952 in Climăuți) in der Übersetzung von Jan Koneffke (* 1960 in Darmstadt) in einer wohlgestalteten zweisprachigen Ausgabe.

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Jan Koneffke: „Die Tsantsa-Memoiren“

Tato (alias … ) als Chronist

In dem neuen Roman von Jan Koneffke (* 1960 in Darmstadt) überblickt ein personaler Erzähler die Zeit von ca. 1780 bis in die Jetztzeit. Wie das? Ist er unsterblich? Oder wird hier versucht, eine auktoriale Erzählweise (eine gottgemäße Perspektive) in eine Person hineinzumogeln?

Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten, denn sie berührt unmittelbar den Kern dessen, was dieser Roman thematisiert.

Koneffke schummelt nicht. Er stellt uns keine auktorialen Erzähler zur Verfügung, sondern einen personalen. Aber handelt es sich beim Erzähler um eine Person? Und wenn, wie kann sie über einen so langen Zeitabschnitt aus eigener Erfahrung, eigener Anschauen berichten?

Nicht alle werden den Titel des Romans auf Anhieb verstehen, denn das Wort Tsantsa kommt aus der kleinen JívaroSprachfamilie, die in Peru und Ecuador gesprochen wird, und bezeichnet Schrumpfköpfe (oder Englisch: shrunken heads). Koneffkes Erzähler ist also bereits gestorben,  ist ein nach den Regeln indigener Völker präpariertes Ding (?) aus menschlichen Überresten.

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Jan Koneffke: „Vor der Premiere“

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Borg, Cotta und Strauch

Ich beschäftige mich gerne mit dem Frühwerk von Prosaautoren, insbesondere mit ihren Erstlingen. Meist mit zeitlich großem Abend, wenn die Autoren schon große, ganz große Namen haben und hoffentlich von ihrem Schreiben leben können.

Dieser Tage fand ich im Spendenregal einer Kirchengemeinde die Erzählung „Vor der Premiere“ von Jan Koneffke aus dem Jahr 1988. Koneffke, 1960 in Darmstadt geboren, kenne ich als fachkundiger Juror beim Leonce-und-Lena-Preis. Eigentlich unverzeihlich, den Autoren Koneffke nicht zu kennen. Jetzt konnte ich das nachholen.

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