Michael Spyra: „Die Berichte des Voyeurs“

Und seh‘ ich dich dort unbekleidet laufen,
ich sollte klingeln, um uns Stoff zu kaufen.

Diese beiden Verse aus dem ersten Band von Michael Spyra (* 1983 in Aschersleben) geben die Richtung vor, in der sich auch die 100 Liebesgedichte des Bandes Die Berichte des Voyeurs bewegen. Es ist eine Pendelbewegung zweier Menschen zwischen Nacktheit und Verhüllung, zwischen Schamlosigkeit und Scham.

Schrieb ich angesichts gardinenloser Fenster von „einem Zwischenraum von Voyeurismus und Banalität“ und zeigte mich enttäuscht über das Ende einer Verhüllungs- oder auch Entrückungssehnsucht (uns Stoff kaufen), so muss ich mich angesichts des Titels des neuen Bandes ernsthafter mit dem Spiel, den Spielarten der Liebe beschäftigen, also deren Leichtigkeit nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn die Anziehungskraft zweier Menschen ist, das belegen Die Berichte des Voyeurs, ein Untersuchungsgegenstand, der einen langem Atem braucht, eine genaue Beobachtungsgabe, ein richtiges Timing, ja geradezu eine Fürsorge für die Beobachteten und einen starken Hang zur Diskretion. Spyra nimmt uns als Leser*innen hier in die Pflicht, bei aller Direktheit, mit der zwei Menschen aufeinanderzusteuern und sich vereinen.

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Michael Spyra: „Auf die Äpfel hatte der Herbst geboxt“

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Die Form muss durch den Mund gehen

Es bedarf keiner weiteren Erörterung: Der freie Vers reist, wohin er will. Die gebundene Sprache ist begrenzt durch Gesetzmäßigkeiten und schränkt die Handlungsfreiheit des Schreibenden ein. In dieser Reisebeschränkung liegt eine Chance, sich Freiheit auf anderem Weg zu erarbeiten. In welche lyrischen Systeme wurde der 1983 in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) geborene Autor mit dem Mauerfall eingeschult? Was bedeutet es, wenn er auf tradierte Formen zurückgreift, um seine Freiheit darin zu suchen? Warum tut er das? Er tut es, weil er es kann und Freude daran hat. Weitere Auskünfte darüber wird der Autor nicht geben wollen und verweist zurecht auf sein Buch. Doch die Fragen, die sich mir stellen, gehen weiter: In welchem Verhältnis stehen Form und Inhalt? Sind sie gleichberechtigte Partner?

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