Peter Härtling: „Zwettl“

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In einer Zeit, in der die Bücher immer schneller aus den Buchläden verschwinden, so sie es bis dorthin geschafft haben, gleicht es einem Wunder, einem Buch aus den Achtzigern auf der Straße zu begegnen.

Letzten Herbst waren die Quitten schnell reif geworden. Ich hatte noch keinen Gelee gemacht, da gab es auf dem Markt schon keine Früchte mehr. Eine Freundin aus der Frankfurter Straße gab mir einen Tipp. Der Nachbar um die Ecke bietet noch welche zum Verkauf, sagte sie. Auf dem Bürgersteig dieses Nachbarn stand eine Kiste mit alten Büchern, aus der ich Härtlings „Zwettl“ herausnahm. Der Titel sagte mir nichts, aber der Untertitel „Nachprüfung einer Erinnerung“ weckte mein Interesse. So ging ich mit Quitten und Buch bestückt zurück in die Frankfurter Straße.

„Zwettl“ geht auf die Suche nach Indizien, die Erinnerungen an Kindheit und Krieg, an die Eltern belegen. Härtling möchte herausfinden, was genau wann und warum geschehen ist, ob seine Erinnerungen exakt sind. Für diesen Abgleich fährt er 1971 nach Zwettl, nordwestlich von Wien, befragt Verwandte und offizielle Stellen.

Was Härtling findet, findet sich im Widerspruch zu anderslautenden Aussagen. „Es sei, berichtigt Tante K. mit Erbitterung, alles falsch. So habe es sich nicht zugetragen.“

„Zwettl“ belegt nicht eine Wahrheit, sondern dokumentiert ihre aus verschiedenen Perspektiven, Verzerrungen und Erinnerungslücken hervorgehenden Widersprüche durch „Löschung eines Kapitels“, „Exkurse“ und „Korrekturen“. Und es ist mit 126 Seiten ein schmales, aber großes Buch einer Vater-Sohn-Suche.