Ruždija Russo Sejdović: „Der Eremit. Stille und Unruhe eines Rom“

Hundeperspektive

Erleichtert sprang ich aus dem Bus. Ich wusste, wenn ich drinnen geblieben wäre, hätte ich sie allesamt zerschmettert wie Kürbisse. Ich klopfte meinen Regenmantel ab, um den Staub zu beseitigen. Als ich einen Blick hinter mich warf, sah ich neben dem Weg die Hunde, die ich vorhin zum Teufel gejagt hatte. Ihre nassen Zungen hingen heraus, sie hechelten schwer und stierten mich an, als warteten sie nur auf den günstigsten Moment, um sich auf mich zu stürzen und mich zu verschlingen. Ich ging in die Hocke und starrte ihnen in die Augen, wie es die Cowboys tun im wilden Westen. Urplötzlich begann ich, einen Hund anzubellen. Da wurden sie von Furcht gepackt und rannten über die Felder auf und davon, aber ich hinterdrein. Ich rannte und bellte wie ein Verrückter. Noch nie in meinem Leben hatte ich so fröhlich gebellt. Ich fühlte mich frei und glücklich, einmal in die Haut eines Tieres geschlüpft zu sein.
(aus: Jugoslawien und Deutschland)

Das ist eine furiose Szene, die mich unweigerlich an die Sanduhr denken lässt, jenes für mich so wichtige Buch, das mir Trost und Richtung gab, als mein Vater gestorben war, mittlerweile vor 24 Jahren.

Was ist das für ein merkwürdiger Morgen, an dem ich auf einen Schriftsteller zu sprechen kommen möchte, dessen in Mitteleuropa doch eher gelegentlich gedacht wird  – und doch just an diesem Tag finde ich eine  Besprechung seines frühen Werks Psalm 44 im Internet? (Aha: 15. Oktober 2019 war dessen 30. Todestag!)

Was sieht man sonst noch aus der Hundeperspektive?
(aus: Sanduhr von Danilo Kiš )

Der Prosaband Der Eremit. Stille und Unruhe eines Rom von Ruždija Russo Sejdović, 1966 in Kuče (Montenegro) geboren, ist eine Sammlung kurzer Prosatexte, die aus dem Gurbet-Romani, einer Varietät des Vlax-Romani, von Melitta Depner ins Deutsche übersetzt und 2017 veröffentlicht wurde.

Dass sich hierfür kein renommierter deutscher Verlag fand, der Band vielmehr als Eigenpublikation erschien, verrät viel über den Umgang mit Minoritätssprachen und belegt den schlechten Zustand Europas. Frieden und Aussöhnung?

Keineswegs schmälerte es die Qualität der Texte.

Es macht mich wütend, dass bei der Aufnahme von Schriftstellerinnen und Schriftstellern in den Berufsverband VS immer noch Eigenpublikationen als minderwertig  erachtet werden. Welche Arroganz der Mehrheitssprache, welche Ignoranz gegenüber der Geschichte!
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