Armin Steigenberger: „rohherz und antikkörper – reprisen zur zerschönerung der welt“

Berserkergang,
Berserkergesang.

Mittelalterliche skandinavische Quellen bezeichneten im Rausch kämpfende Menschen, die keine Schmerzen wahrnehmen, als Berserker. Sie haben sich in einen Furor hineinbegeben, sei es als Kampftechnik des Kriegers oder als Manifestation der Verachtung des Todes, dem sie nur Hohn entgegenbringen. Erste Anwendung findet das Wort in dem Preisgedicht Haraldskvæði (um 872).

es brüllten die Berserker,
der Kampf kam in Gang,
es heulten die Wolfpelze
und schüttelten die Eisen.
(Strophe 8)

Soweit mein freundlicherweise von Wikipedia aufgefülltes Nicht-Wissen, das dennoch in der Lage ist zu erkennen: Die Körper dieser Kampfmaschinen sind kein Relikt aus grauer Vorzeit, sondern sie töten genau jetzt, in diesem Moment: Wir sind im Krieg; wie abgedroschen mittlerweile und doch: unser täglich Krieg gib uns heute. Noch halten unsere Balkone, von denen aus wir das Schlachtfeld überblicken. Hatten wir jetzt eigentlich die Helme geliefert?

Armin Steigenberger (*1965 in Nürnberg) legt mit rohherz und antikkörper seinen neuesten Gedichtband vor. Das Manuskript wurde im Herbst 2022 mit einem Arbeitsstipendium des Freistaates Bayern incl. Handshake und Urkundenübergabe durch Staatsminister für Wissenschaft und Kunst Markus Blume ausgezeichnet. Wes Brot ich ess, …

des Lied ich nicht sing. Ich glaube, sagen zu können, der Lyriker Steigenberger lässt sich nicht zur Vorbereitung oder Durchführung von kriegerischen Handlungen in die Kampfgruppe der Berserker eingliedern. Vielmehr ist er auf eigene Rechnung unterwegs, führt seinen Kampf mit der – gegen die Sprache, diese lyrisch-prosaische, banale-artifizielle, diese historisch-moderne, analoge-digitale, offline-online, diese hopp-on-and-hopp-off-Sprache, die uns, genauer gesagt, ihm die Ohren volldröhnt und gegen die er sich sehr erfolgreich und sehr produktiv wehrt. Ich bin nicht in der Lage, eine nur annähernd vollständige Liste seiner Verteidigungstechniken (Bullet, Bullshit: Es geht ja niemals um Angriff!) zu nennen. Aber die Zerlegung der Sprache bis in die kleinste Einheit, die Buchstaben, ihre Streichung, ihren Ersatz oder Doppelung, dieses Handwerkern, das gehört genauso dazu, wie der Rundblick vom Videoboard, Augen auf, immer Augen auch nach hinten, sie kommen von hinten, um den nächsten Angriff auf die Unversehrtheit der Gedichte zu inszenieren.

Also gut: Halten wir uns vor Augen, der Berserker ist weder rohherz noch antikkörper. Ich muss einen anderen Zugang finden. Aber gerade das ist es, was mir Schwierigkeiten bereitet. Angesichts der Fülle von Worten fühle ich mich desorientiert. Gerne wüsste ich, wo sich das lyrische Ich gerade befindet.

verorten Sie sich!
(aus: Charaki Protokolle IV)

Ich lese den Satz als Selbstaufforderung, aber nein, das ist nicht der Punkt! Sagen wir, das Ich ist weltumspannend unterwegs oder einfach im Orbit? Der Kämpfer hat schlicht keine Zeit, ständig seine Koordinaten händisch mitzuteilen. Zudem gibt es andere Überlegungen, solche der Sicherheit, weshalb er eine automatische Weitergabe deaktiviert hat.

Sobald ich kleinste Hinweise finde, die mir die Verortung erlauben, greife ich dankbar zu. Insofern ist das Anfügen von Fußnoten / Hinweisen / Zitate am Ende des Bandes hilfreich, aber es ist ja nur der kleinste Teil, von dem der Autor bereit ist, sie preiszugeben. Seine Entscheidung, damit darf ich als Leser umgehen.

Um Verständnis geht es ohnehin nicht. Ich muss bereit sein, über Verse hinwegzulesen, die für mich nicht auflösbar sind. Darf mich nicht irritieren lassen von den Lücken, die der Text in mir aufreißt, sondern muss den Sound im Ohr wahren, bis ich Halt finde, und mich rückversichern kann: Ja, hier treffen sich die drei Instanzen, Leser, Autor und sein lyrisches Ich wieder.

Überbleibsel: Thesenpapiere aus der Zeit des Jammertals.

A warm welcome to intervention & prevention! Curl of the burl!
Trouble’s brewing!

Neue Mauern müssen her, weltweit! Und Stacheldraht, Zäune, Grenzschließungen,
Erschießungen!

Wir ziehen neue Schüsse aus dem Krieg.
(aus: 4 When Starting the Engine in: Weltenbrand 3a)

und die luft ist raus aus allen standpunkten spielbeinen gott ist bankrott
immediately im siedenden punkt in bollywood post nietzsche willkommen
in der illusionsmaschine verwirbelung du jagst deinen papiernen klepper
über die sierra bis zu den mühlen nur sancho scheut etwas auf trab
rein hypothetisch vollblütige zylinderköpfe die mühle mährt und wiehert
da springt nichts mehr da steht alles da stagniert ein lachen wenn du
deinen mundschutz anziehst beim lädierten ritt gegen die sonne auf sieg.
(aus: Selbstbildnis mit springendem Punkt)

Was war gleich noch einmal das Ziel des Kriegs, Sieg um jeden Preis oder Überleben um jeden Preis? Unsere Antworten sind mehr als lädiert. Sie taugen nicht in einer Zeit, in der Militärs auf Kriegswirtschaft umstellen wollen.

Das Ich Steigenbergers hat eine 365/24/360°- Arbeitsweise verinnerlicht. Es ist allumfassend aufmerksam, da stellt sich die Frage nach Ruhe, Pause. Was haben die Berserker getan, nachdem die Schlacht geschlagen war? Ein Loblied gesungen und zwischendurch mal das Tierfell ausgebürstet und gelüftet? Oder ist der Berserker nur im Zustand der Dauererregung vorstellbar?

Steigenberger schreibt dazu:

Der Preis, den ich zahle, ist ein Beben in allen Fasern
bis in allerletzte Sprachbezirke hinein.
(in: Mein Tremor)

und

mein Glück, mein Moment, mein Begehren, meine Mondlichter,
mein Gesöff.
(aus: Mein Brett)

Den Schlussmonolog wünsche ich mir als Audiodatei, irgendwo in einer Cloud abgespeichert. Ach ja, Cloud = Wolke, ich muss noch einmal im Band nach vorne blättern …

gezauste schliere
flusenhaft geflochten
in der mitte höcker
schnabelartig
akkumulierte masse
dichter segmente
eine kleine insel fernab
als schwöbe sie
paar pixel parzelliert
nahezu nichts
faserreste
ostdrift
(Versuch über eine Wolke II)

Aber jetzt komme ich zum Ende.

Hör auf mit den Gedichten, die nicht du selber geschrieben hast,
sondern dein schlechtes Gewissen. Hör auf mit der Weißen-Weste-Dichtung,
mit dem ideologischen Zeug, das zu groß für dich ist und das dich obendrein
reinwaschen soll. Hör auf, Gedichte zu mögen, die sich mit aparter Sprache
freikaufen möchten und doch hinterrücks Dünnsäure verklappen.

Hör vor allem auf, Gedichte mit Blut schreiben zu wollen. Hör auf mit der
Bildungshuberei und hör auf mit angezogener Handbremse zu dichten,
das gleiche zu sagen, was andere vor dir schon 200siebenundxxxzig Mal
gesagt haben. Hör endlich auf, mit jedem aparten Wortgeschlängel
viral zu gehen – mit all dem Zeug, das gut klingt, aber nichts bedeutet.
(aus: Nun hör schon auf –)

Fulminant. Furios.